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Mit dem Wetterballon in die Stratosphäre: Elektronik, die sicher zurückkommt

Vor rund fünf Jahren entstand die Idee zu einem Projekt, das Philipp Blumenhagen bis in die Stratosphäre führen sollte. Als Student der Elektro- und Informationstechnik entwickelte er ein System für den Einsatz unter extremen Bedingungen mit dem Ziel, Technik in rund 27 Kilometern Höhe zu testen.

Doch warum überhaupt so viel Aufwand? Nach Schätzung des Deutschen Luftfahrtzentrums starten in Deutschland jährlich 15.000 Wetterballons. Allein der Deutsche Wetterdienst (DWD) gibt an jährlich etwa 7.500 Wetterballons mit Radiosonden steigen zu lassen. Rund 80 Prozent von diesen gehen nach der Landung verloren. Wenn die Wetterballons eine Höhe von etwa 30.000 Metern erreichen, lässt der niedrige atmosphärische Druck sie platzen und die Radiosonden fallen an einem Fallschirm hängend unkontrolliert auf die Erde. Diese Sonden enthalten Elektronik, Sensoren, Akkus und Kunststoffteile. Die meisten landen in Wäldern, auf Feldern oder im Wasser. Nur ein Bruchteil wird geborgen oder wiederverwendet. 
Philipps Idee setzt genau hier an: Wie wäre es, wenn man diese Technik gezielt zur Erde bringt, um Umweltbelastung zu vermeiden und Messinstrumente mehrfach zu verwenden?

Wenn man Philipp Blumenhagen auf dem Campus der Hochschule Landshut begegnet, merkt man schnell: Hier kennt man sich. Ein „Servus“ hier, ein kurzes Gespräch da – das persönliche Miteinander ist einer der Gründe, warum sich der 28-Jährige für ein Studium der Elektro- und Informationstechnik an der Fakultät für Elektrotechnik und Wirtschaftsingenieurwesen entschieden hat.

In einer der Sitzecken des C-Gebäudes erzählt Philipp Blumenhagen von einem Projekt, das ihn mehr als fünf Jahre lang begleitet hat. Gerade hat er seine Masterarbeit abgegeben über ein selbst entwickeltes Rückführungssystem für Stratosphärenflüge: Ein leichtes, autonom fliegendes Modellflugzeug, das an einen Wetterballon gehängt werden kann und Messinstrumente sicher zur Erde zurückbringt.

Von der Idee zum Projekt

Die Idee entstand 2020 in seinem Modellflugverein. „Es war eigentlich nur ein lockeres Gespräch, eine Schnapsidee“, sagt Philipp. „Wir wollten mal sehen, wie hoch man mit einem Modellflugzeug kommen kann. Außerdem hatte ich den großen Wunsch, selbst ein Foto unserer Erde aus großer Höhe zu machen.“ Aus dem spontanen Einfall wurde ein Langzeitprojekt und Teil seines Studiums der Elektro- und Informationstechnik: Erst in der Bachelorarbeit, später vertieft in der Masterarbeit, entwickelte er das Rückführungssystem für Stratosphärenflüge weiter.

Als er 10 Jahre alt ist, tritt Philipp in den örtlichen Modellflugverein ein und verbringt viele Stunden auf dem Flugplatz oder im heimischen Keller beim Zusammenlöten seiner Flugobjekte. Damit hat er auch die Elektrotechnik im Blut. Nach der Schule beginnt er eine Ausbildung zum Elektroniker für Geräte und Systeme. Da aber die Leidenschaft und der Wissensdurst groß sind, soll es bei der Ausbildung alleine nicht bleiben. Philipp möchte studieren und entscheidet sich für die Hochschule Landshut. Warum? „Einige Hochschulen sind oft ein Riesending. Das war nicht so meins. Durch Zufall bin ich arbeitsbedingt nach Landshut gekommen und habe einen Abstecher zur Hochschule gemacht. Ich habe mir den Campus angesehen, und meine Entscheidung war gefallen: Ich möchte hier studieren.“ 

An der Hochschule Landshut fand er an der Fakultät Elektrotechnik und Wirtschaftsingenieurwesen was er suchte: eine persönliche Atmosphäre, enge Betreuung und vor allem praxisnahe Projekte. „Gerade im Elektrotechnikstudium hast du viele Labore und Aufgaben, bei denen du direkt ausprobieren kannst, wie etwas funktioniert – oder eben nicht. Wenn du an einem Projekt arbeitest und es leuchten oder blinken muss und das tut es nicht, dann willst du wissen, warum. Du hängst dich rein, suchst den Fehler. Und wenn es dann funktioniert, verstehst du es. Das ist ein gutes Gefühl,“ so Philipp weiter.

Technik, die wirklich fliegt

Bei seiner Bachelorarbeit ist Philipp von Prof. Alexander Neumeier (Professor für Elektrische Messtechnik und Elektrotechnik) unterstützt worden. Als er ihm das Stratosphären-Projekt vorstellte, war schnell klar, dass aus der Bachelor- auch eine Masterarbeit werden soll. Die Bachelorarbeit „Entwicklung und Aufbau eines Trackingsystems für Stratosphärenflüge“ bereitete die Bodenstation vor, während bei der Masterarbeit „Entwicklung und Test einer autonomen Sensorplattform für Stratosphärenflüge mit Wetterballonen“ sich alles um den Flug drehte. 

Im Zentrum seiner Abschlussarbeiten stand die Frage: Wie bringt man Messinstrumente aus großer Höhe sicher zurück? Philipps Lösung: Ein Rückführsystem mit einem kleinen Leichtflugzeug. Aus Schaumstoff gebaut, ausgestattet mit GPS, Kameras, Sensoren und Autopilot. „Ziel war es, dass die Geräte nicht irgendwo runterfallen, sondern gezielt landen können“, erklärt er.

Die rechtlichen Vorgaben machten das Projekt komplex: Ein vollautonomes Fluggerät ist in Deutschland für Privatpersonen nicht erlaubt. Solche Flüge gelten als unbemannte Luftfahrtsysteme und unterliegen strengen Auflagen. Für den eigentlichen Stratosphärenflug musste der Autopilot deshalb deaktiviert bleiben. Philipp testete das Steuersystem im Vorfeld separat und unter Sichtbedingungen mit dem Ziel, es bei zukünftigen Projekten mit entsprechender Genehmigung einsetzen zu können. 

Aufbau, Entwicklung, Test

Die Bachelorarbeit war die Grundlage: eine Trackinglösung für Stratosphärenflüge. Eine selbst entwickelte App konnte die Flugdaten in einer 3D-Ansicht darstellen. Zusätzlich programmierte Philipp die Kommunikation zwischen Flugzeug und Bodenstation.

In der Masterarbeit ging es dann an den Flug selbst: Sensorik, Flugmechanik, Rückführung. Im Zentrum: ein sogenannter Nurflügler. Das ist ein besonders leichtes Modellflugzeug ohne separates Leitwerk, also nur mit Tragflächen gebaut. Es war mit verschiedenen Sensoren, zwei GPS-Modulen und Kameras ausgestattet. 

Der Flieger hing an einem 15 Meter langen Seil unter einem mit Helium gefüllten Wetterballon. Die gesamte Konstruktion stieg auf über 27 Kilometer Höhe, etwa bis zur Mitte der Stratosphäre. Zum Vergleich: Verkehrsflugzeuge fliegen in etwa 10 bis 12 Kilometern Höhe. Der Ballon erreichte also mehr als die doppelte Höhe eines Passagierflugs. Dort herrschen extreme Bedingungen: minus 60 Grad Celsius, sehr geringe Luftdichte. „Das Problem ist: Warme Technik kriegt man da oben nicht gekühlt, kalte Technik friert ein“, erklärt Philipp. Deshalb wählte er alle Bauteile gezielt aus und plante für jede Funktion ein Backup: GPS, Sensorik, Kamera, Stromversorgung – vieles war doppelt vorhanden. „Damit man in der Stratosphäre nicht abraucht“, so der 28-jährige.

Die Messinstrumente erfassten unter anderem Temperatur, Luftdruck, Strahlung (UV- und ionisierende Strahlung), Ozongehalt, Feuchtigkeit und Flughöhe. Am Boden konnte Philipp daraus erkennen, in welcher Atmosphärenschicht sich der Ballon befand. „Mit zunehmender Höhe wird es zunächst kälter, mit dem Eintritt in die Ozonschicht dann wieder wärmer. Das konnten wir gut nachvollziehen“, erzählt er. Der Höhenmesser zeigte am höchsten Punkt 27 000 Meter. Über das Telemetriesystem wurden alle Werte in Echtzeit an die Bodenstation übermittelt.

Rückhalt für dieses Projekt fand Philipp in der gesamten Fakultät für Elektrotechnik und Wirtschaftsingenieurwesen. Von Professor Neumeier, der ihn nicht nur fachlich betreute, sondern auch beim Einholen der nötigen Fluggenehmigungen unterstützte, über Dekanin Prof. Dr. Tippmann-Krayer bis hin zum Freundeskreis der Fakultät, der die Finanzierung des Wetterballons samt Helium übernahm. „Ohne diese Rückendeckung hätte ich das alles nicht stemmen können. Dafür bin ich sehr dankbar“, betont Philipp.

Der Flugtag

Am 15. Juni 2025 war es so weit. Der erste Startversuch war zuvor wegen eines Sturms abgebrochen worden. Philipp musste aufpassen, denn er hatte nur einen Wetterballon zur Verfügung. „Wenn der kaputt geht, sind 350 Euro weg. Dann war’s das.“

Diesmal passte alles: 27 Grad, wenig Wind. Gestartet wurde nicht in Landshut, sondern in Starnberg. Landshut liegt in der Einflugschneise des Münchner Flughafens. In Starnberg, nahe seines Modellflugvereins, bereitete er mit vier Kollegen den Start vor. Aus Sicherheitsgründen trugen sie beim Aufbau Handschuhe, denn der Ballon ist empfindlich. Das Ventil wurde vorsichtig montiert, die Technik überprüft. Auch an Kletterausrüstung hatte Philipp gedacht: „Falls das Flugzeug in einem Baum landet, muss ich da irgendwie rauf.“

Zwei Stunden dauerte der Aufstieg. Zunächst trieb der Ballon mit dem Wind Richtung Osten, in höheren Luftschichten drehte er dann zurück und näherte sich dem Startpunkt wieder an. Zwischenzeitlich riss das GPS-Signal ab. Der Ballon platze wie geplant in knapp 27 Kilometern Höhe. Erst als der Flieger im Sinkflug war und sich der Bodenstation wieder näherte, kam das Signal zurück. Die Erleichterung war groß.
Weil Philipp den Autopiloten während des Flugs nicht aktivieren durfte, war er nun auf Thermik und Fluglage angewiesen. Eine Zeit lang sah es so aus, als würde der Flieger im Starnberger See landen. Doch schließlich setzte er sicher auf einem Feld auf, nicht weit vom Startort entfernt.

Als Philipp aus dem Auto stieg, mit dem er Ballon und Flieger verfolgt hatte, wartete sein Team bereits auf dem Feld. Es wurde geklatscht. Auch seine Mutter gehörte zu den ersten, die ihm zu diesem Erfolg gratulierten.

Der Blick zurück und nach vorn

Philipp blickt zufrieden auf sein Projekt. „Ich habe extrem viel gelernt – technisch, aber auch organisatorisch. Wenn du plötzlich Genehmigungen vom Luftfahrtbundesamt brauchst, wächst du da hinein.“ Die Zusammenarbeit mit der Fakultät, die Unterstützung durch Lehrende und Mitstudierende, all das hat ihn motiviert und bestärkt.

Seine Masterarbeit hat er im August 2025 erfolgreich abgeschlossen. Beruflich zieht es ihn in die Luft- und Raumfahrttechnik, er hat einen Arbeitsvertrag beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen unterschrieben. Und ein weiterer Stratosphärenflug? Nicht ausgeschlossen. „Irgendwann will ich das gerne noch einmal angehen. Ich habe noch Ideen, was man besser machen könnte“, grinst er.

Was bleibt, ist ein Video aus fast 27 Kilometern Höhe, aufgenommen von einer der Kameras am Nurflügler. Darauf zu sehen: der dünne blaue Streifen der Atmosphäre, unten die Troposphäre, darüber die Ozonschicht in der unteren Stratosphäre. Und ganz oben das tiefe Schwarz des Himmels. „Wenn man das sieht, weiß man, wie verletzlich unsere Erde ist.“ Philipp schaut sich die Aufnahmen gerne an. Und jedes Mal bekommt er wieder Gänsehaut. Sein großer Wunsch, einmal selbst ein Bild unserer Erde aus großer Höhe aufzunehmen, ist in Erfüllung gegangen.

Fotos: Hochschule Landshut / Philipp Blumenhagen
(Frei zur Verwendung bei Angabe der Quelle)

Foto 1: Gelandet und glücklich: Philipp Blumenhagen direkt nach der erfolgreichen Bergung seines Stratosphärenflugs. Nurflügler und Datenlogger haben den rund zweieinhalbstündigen Flug unbeschadet überstanden.

Foto 2: Technik auf engem Raum: Der Nurflügler aus Schaumstoff trug alle zentralen Komponenten (Sensoren, GPS, Kameras, Stromversorgung und Steuerplatine) sicher in seinem Rumpf. Das geringe Gewicht und die stabile Bauweise waren entscheidend für Flugverhalten und sichere Landung.

Foto 3: Teamarbeit beim Start: Gemeinsam mit Freunden vom Modellflugverein bereitet Philipp Blumenhagen den Start des Wetterballons vor. Handschuhe schützen das empfindliche Material, Helium aus der Gasflasche sorgt für den Aufstieg auf über 27 Kilometer Höhe.

Foto 4: Das Telemetrie-Overlay zeigt Live-Daten während des Flugs; darunter Höhe, GPS-Position, Temperatur, Strahlung und Akkustand. So konnte Philipp Blumenhagen den Flugverlauf vom Boden aus in Echtzeit mitverfolgen.

Foto 5: Die berechnete Flugbahn des Wetterballons basierte auf Wind- und Wetterdaten und wurde mit dem Tool von stratoflights.com erstellt. Der Start erfolgte bei Starnberg, der Ballon stieg auf 27 500 Meter Höhe. Nach gut zwei Stunden platzte er. Die Landung erfolgte etwa acht Kilometer Luftlinie vom Start entfernt.

Foto 6: Die Bordkamera zeigt die dünne blaue Linie der Atmosphäre.