In Landshut entsteht ein Reallabor, das in Europa zu den ersten seiner Art zählt. Im Forschungsprojekt „Reinforcement Learning basiertes Lastmanagement zur Flexibilisierung von Wohnheimen“ (kurz „ReLLFloW“) werden 59 Wohneinheiten eines Studierendenwohnheims zu einem intelligenten Energiesystem umgerüstet. Das Projekt ist am Institute for Data and Process Science (IDP) der Hochschule Landshut angesiedelt.
Nun wurde ein wichtiger Meilenstein erreicht: Alle Studierendenwohnungen sind jetzt mit intelligenten Stromspeichern und digitalen Stromzählern ausgestattet. Künstliche Intelligenz soll künftig die Batterien so steuern, dass sie zur Stabilisierung des Stromnetzes beitragen und gleichzeitig die Energiekosten senken.
Von der Simulation zur Realität
„Mit dem Wohnheim verfügen wir über ein reales Testsystem in einer Größenordnung und Konfiguration, das bislang einzigartig ist", freut sich Projektleiterin Prof. Dr. Maren Martens, die am IDP forscht und an der Fakultät Betriebswirtschaft – Business School der Hochschule Landshut lehrt.
Martens und ihr Team entwickeln nicht nur theoretische Konzepte, sondern erproben diese unter realen Bedingungen. Über ein Jahr lang wurden bereits Daten gesammelt – vom Energieverbrauch einzelner Wohnungen bis zum Verhalten der Batteriespeicher. Diese Datenbasis bildet die Grundlage für das Training der KI-Algorithmen.
Künstliche Intelligenz lernt Energiemanagement
Herzstück des Projekts sind selbstlernende Steuerungsverfahren auf Basis von Reinforcement Learning, einer Methode der Künstlichen Intelligenz, bei der Algorithmen durch Versuch und Irrtum lernen, optimale Entscheidungen zu treffen. „Die Herausforderung besteht darin, dass diese Verfahren mit Unsicherheiten umgehen müssen", erklärt Ulrich Ludolfinger, leitender Entwickler im Projekt und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hochschule Landshut. „Niemand kann perfekt vorhersagen, wie viel Strom morgen verbraucht wird oder wie das Wetter wird. Unsere KI-Systeme müssen trotzdem gute Entscheidungen treffen."
Um mit solchen Unsicherheiten zurecht zu kommen, braucht es innovative Ansätze: „Wir haben festgestellt, dass klassische mathematische Optimierungsverfahren bei realistischen Vorhersagefehlern bis zur Hälfte ihrer Performance verlieren können", berichtet Ludolfinger. „Deshalb entwickeln wir Verfahren, die robuster gegenüber Unsicherheiten sind." Die Ergebnisse werden bereits international wahrgenommen – mit Präsentationen auf renommierten Konferenzen. Jüngst stellte Ludolfinger das Projekt auf einer Fachkonferenz zu intelligenten Stromnetzen in Malta vor.
Vom Einzelspeicher zum intelligenten Schwarm
Während im ersten Projektjahr die Steuerung einzelner Batterien im Fokus stand, arbeitet das Team nun an der Koordination des gesamten Systems. „Wir entwickeln Multi-Agenten-Systeme, bei denen jede Wohneinheit einen eigenen intelligenten Agenten hat", erklärt Ludolfinger. „Diese Agenten lernen zusammenzuarbeiten, um gemeinsame Ziele zu erreichen – etwa Lastspitzen im Stromnetz zu vermeiden –, während sie gleichzeitig die Energiekosten ihrer jeweiligen Wohneinheit optimieren."
Ein wichtiger Aspekt ist dabei der Datenschutz: Durch das dezentrale System müssen sensible Verbrauchsdaten nicht zentral gesammelt werden. Jeder Agent kann autonom auf Basis lokaler Informationen entscheiden.
Praktischer Nutzen für die Energiewende
Die Relevanz des Projekts geht weit über das Studierendenwohnheim in Landshut hinaus. „Die Integration erneuerbarer Energien stellt unser Stromnetz vor große Herausforderungen", betont Martens. „Intelligente Speichersysteme, die flexibel auf Schwankungen reagieren können, sind ein wichtiger Baustein der Energiewende."
Projektpartner NetzFlex bringt die praktische Expertise ein und entwickelt die kompakten Speichersysteme weiter. Die Stadtwerke Landshut unterstützen als Netzbetreiber mit ihrer fachlichen Expertise, während das Studierendenwerk Niederbayern/Oberpfalz das Wohnheim als Reallabor zur Verfügung stellt.
Nächste Schritte: Von der Entwicklung zum Echtbetrieb
In den kommenden Monaten bis zum Projektende im September 2026 steht der entscheidende Schritt bevor: Die entwickelten KI-Algorithmen werden auf den realen Speichern im Wohnheim implementiert. „Das ist der Moment der Wahrheit", sagt Ludolfinger. „Wir werden sehen, ob die in der Simulation vielversprechenden Ansätze auch in der Praxis funktionieren und einen echten Beitrag zur Netzstabilität leisten können."
Die Ergebnisse des Projekts sollen nicht nur wissenschaftlich publiziert, sondern auch für die praktische Anwendung in weiteren Wohnheimen und Mehrfamilienhäusern nutzbar gemacht werden. „Damit leisten wir einen konkreten Beitrag zur intelligenten Energieversorgung der Zukunft – in Bayern und darüber hinaus", so Martens abschließend.
Das Projekt ReLLFloW wird durch die Bayerische Transformations- und Forschungsstiftung gefördert.
Foto: Hochschule Landshut
(Frei zu Verwendung bei Angabe der Quelle)
Foto 1: Prof. Dr. Maren Martens und Ulrich Ludolfinger im Studierendenwohnheim mit einem der Stromspeicher im Hintergrund.
Foto 2: Ulrich Ludolfinger und Prof. Dr. Maren Martens neben dem KI-Server (rechts) der Hochschule Landshut, der mit seiner Rechenpower bei der Entwicklung der intelligenten Speichersteuerung unterstützt.


