Ein exklusives Porträt über Prof. Dr. Bernd Mühlfriedel – den unbequemen Vordenker des Landshuter Unternehmertums
Von außen wirkt Prof. Dr. Bernd Mühlfriedel wie der Prototyp eines gelungenen akademischen Lebenslaufs: Hochschullehrer, Forscher, staatlich ausgezeichneter Didaktiker. Doch seine Biografie erzählt einen anderen Weg. Einen, der ihn von der rebellischen Sehnsucht nach Unabhängigkeit über eine riskante Gründung in der New Economy bis in die Hörsäle der Hochschule Landshut geführt hat.
„Wenn ich nicht gegründet hätte, wäre ich heute ganz sicher nicht Professor für Entrepreneurship“, sagt er. Ein Satz, der gleichzeitig Bekenntnis und Warnung ist.
Der Junge, der nicht in der Schublade bleiben wollte
Mühlfriedel wächst in einer Familie auf, in der Sicherheit wichtiger ist als Chancen. Beamte, Angestellte, feste Strukturen. Unternehmertum? Nie ein Thema.
- Und gerade deshalb faszinieren ihn die wenigen Ausreißer der Verwandtschaft – der Bäcker, der Möbelunternehmer. Menschen, die Risiken eingehen, Freiheit leben, ihren eigenen Wohlstand schaffen.
„Ich wollte kein Leben, in das man hineingeboren wird und genauso wieder hinausgeht“, sagt er rückblickend.
Der Wendepunkt: Ein MBA in Georgia – und ein neues Fach, das es in Deutschland noch nicht gab
1995 geht er für ein Jahr an die University of Georgia. Ein Zufall, sagt er, aber ein entscheidender: Dort begegnet er erstmals einem Fach namens Entrepreneurship.
„Ich wusste nicht einmal, was das ist. In Deutschland gab es das damals schlicht nicht.“
Dieser Kontakt verändert alles. Er entdeckt eine Welt jenseits von Hierarchien und Arbeitsverträgen – eine, in der Ideen zu Unternehmen werden und Freiheit nicht nur ein Prinzip, sondern ein Antrieb ist.
Die Gründung: 12snap – und acht Jahre im Ausnahmezustand
Ende 1999, mitten in der Euphorie der New Economy, kündigte Mühlfriedel seinen gut bezahlten Beraterjob bei McKinsey um mit vier Mitstreitern das Mobile-Tech-Unternehmen 12snap zu gründen. Zu einer Zeit, als Handys noch nicht smart waren und mobiles Internet mehr Vision als Realität.
Die folgenden Jahre sind ein permanenter Ausnahmezustand:
- keine Wochenenden, 24/7-Arbeit, technische Pionierarbeit, Finanzierungsdruck – und zwei Mal der fast sichere Untergang.
„Es war Unternehmertum pur. Man lebt zwischen Euphorie und Abgrund.“
Nach acht Jahren gelingt der Exit. Ein Glücksfall – und gleichzeitig der Moment, in dem sich die Frage stellt: wieder gründen oder lehren?
Der Professor, der anders denkt – und das System herausfordert
Mühlfriedel entscheidet sich für die Wissenschaft. Doch er bringt eine Haltung mit, die man dort selten findet.
Er spricht über Unternehmertum nicht wie ein Beamter, sondern wie jemand, der weiß, wie es sich anfühlt, wenn das Konto fast leer ist und der Markt gnadenlos bleibt.
Seine Analyse des Hochschulsystems ist scharf:
Zu viele Bedenkenträger. Zu viel Bürokratie. Zu wenig Pragmatismus.
„Es gibt Leute, die lesen erst zwei Jahre die Richtlinien, bevor sie etwas genehmigen. Als Unternehmer bist du dann längst pleite.“
Doch für ihn steht fest:
Hochschulen tragen Verantwortung für den Wohlstand des Landes – und damit für die Zukunft von Gründungen.
Das Landshuter Modell – ein Gegenentwurf zur Theoriehörsaal-Start-up-Romantik
Mühlfriedel ist einer der Architekten des sogenannten Landshuter Modells, einem deutschlandweit außergewöhnlichen Ansatz der Entrepreneurship-Ausbildung.
Das Modell fußt auf drei Säulen:
1. Ein viersemestriges Curriculum
Von Business Model Design bis Entrepreneurial Finance – strukturiert, praxisnah, konsequent.
2. Die enge Anbindung an das Gründerzentrum und das LINK
Direkter Kontakt zu Unternehmern, Business Angels, Start-ups, echten Projekten.
3. Ein einzigartiger Bachelorstudiengang
„Digitalisierung und Unternehmensgründung“ – deutschlandweit eine Rarität.
„Entrepreneurship lernt man nicht aus Büchern“, sagt er. „Es ist wie Schwimmen. Du kannst es nur lernen, wenn du ins Wasser gehst.“
Sieben Learnings aus 12snap – präzise, ehrlich, unbequem
Mühlfriedel formuliert seine Learnings klar wie kaum ein anderer deutscher Professor:
1. Gründe nie wegen Geld.
„Wenn du aufstehst, um reich zu werden, bleibst du liegen.“
2. Structure follows business.
Erst testen, dann bauen. Nicht umgekehrt.
3. Durchhalten schlägt Intelligenz.
Rückschläge sind die Regel, nicht die Ausnahme.
4. Timing ist entscheidend.
Zu spät ist schlecht – zu früh oft noch schlimmer.
5. Team > Talent.
Fachlich stark reicht nicht – die Chemie muss stimmen.
6. Es gibt keinen idealen Zeitpunkt.
Wer wartet, gründet nie.
7. Erfolg braucht Demut.
„Glück ist der Verbündete des Tüchtigen.“
Was er heute Gründerinnen und Gründern rät
Die größte Gefahr für junge Gründer?
Zu optimistische Planungen.
Zu hohe Fixkosten. Zu frühe Büromieten. Zu große Strukturen.
„Der Plan ist nicht die Realität. Die Realität ist der Kunde.“
Europa, KI und die Angst vor dem Stillstand
Wenn Mühlfriedel über die Zukunft spricht, wird er politisch – und ungewohnt deutlich.
Europa sei dabei, im globalen Innovationswettlauf den Anschluss zu verlieren.
- Zu viele Regeln, zu wenig Mut, zu wenig Kapital.
„Ich weiß nicht, ob ich heute noch einmal in Deutschland gründen würde.“
KI dagegen sieht er als mächtige Chance – gerade für Start-ups, die schneller, flexibler, radikaler handeln können.
Nachhaltigkeit – ja, aber wirtschaftlich
Der Professor warnt vor einem Missverständnis, das er häufig erlebt:
Nachhaltigkeit sei kein Selbstzweck und kein Marketingbegriff.
"Ein Unternehmen müsse wirtschaftlich überleben, sonst sei „die Operation gelungen, der Patient aber tot“.
„Biss, Ausdauer, Leidenschaft – das ist Unternehmertum. Der Rest ist Handwerk.“
So lautet seine Essenz.
- Ein Satz, der viel über ihn sagt – und über die Philosophie, die er in Landshut prägt:
- Unternehmertum ist kein Lifestyle. Kein LinkedIn-Post. Kein Hoodie.
Es ist eine Haltung.
- Eine, die weh tut.
- Eine, die Freiheit fordert und Verantwortung verlangt.
- Und eine, die man nur versteht, wenn man sie selbst gelebt hat.
