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Frühzeitig versorgt – besser leben mit altersassoziierter Schwerhörigkeit

Im Rahmen eines neuen Forschungsprojekts werden psychosoziale Faktoren untersucht, die für die Lebensqualität älterwerdender Menschen mit Schwerhörigkeit besonders wichtig sind.

Im neuen Forschungsprojekt AgeHearing-QoL untersucht ein Konsortium aus Hochschule Landshut, Universitätsmedizin Greifswald und Charité – Universitätsmedizin Berlin neue, frühzeitige Versorgungsformen zur Verbesserung der Lebensqualität älterwerdender Menschen mit Schwerhörigkeit. Das interdisziplinäre Vorhaben vereint Expertise aus Psychologie, Gerontologie und Medizin und wird durch ein breites Praxisnetzwerk unterstützt. Das Forschungsprojekt läuft bis März 2028 und wird vom Innovationsausschuss beim Gemeinsamen Bundesausschuss mit über 1,4 Millionen Euro aus Mitteln der gesetzlichen Krankenkassen gefördert.

Millionen Menschen von Schwerhörigkeit im Alter betroffen

„Laut Hochrechnungen sind in Deutschland über zehn Millionen Menschen von einem mindestens leichten Hörverlust betroffen“, erklärt Prof. Dr. Bettina Williger, Professorin für Psychologie mit Schwerpunkt Mensch-Technik-Interaktion an der Hochschule Landshut. „Mit zunehmendem Alter steigt dabei sowohl die Wahrscheinlichkeit als auch die Schwere des Hörverlusts weiter an“, fügt Williger hinzu. So ist in Deutschland etwa jeder siebte Erwachsene schwerhörig, während der Anteil der Betroffenen in der Gruppe der über 65-Jährigen sogar auf etwa die Hälfte ansteigt.

Betroffene oft lange ohne passende Hilfe

„Besonders problematisch ist, dass die Betroffenen oft mehrere Jahre warten, bevor sie sich professionelle Hilfe suchen", betont Prof. Dr. Birgit Mazurek, Leiterin des Tinnituszentrums der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Altersassoziierte Schwerhörigkeit ist ein schleichender Prozess – einsetzen kann sie bereits ab etwa 40 Jahren. „Die gesellschaftliche Stigmatisierung von Hörhilfen erschwert vielen zusätzlich den Schritt zur Behandlung ", erläutert Prof. Dr. Susanne Wurm, Leiterin der Abteilung für Präventionsforschung und Sozialmedizin der Universitätsmedizin Greifswald. Sie ergänzt: „Die Verzögerung bei der Diagnose und Behandlung kann weitreichende Folgen für die kognitive Gesundheit haben."

Schwerhörigkeit kann zu spürbarem Rückgang der Lebensqualität führen

Die Konsequenzen eines unbehandelten Hörverlusts gehen weit über die unmittelbare Höreinschränkung hinaus. Eine mindestens moderate Schwerhörigkeit steht in einem direkten Zusammenhang mit einem erhöhten Sturz-, Demenz- und Depressionsrisiko. Zudem kann sie soziale Teilhabe, Kommunikationsfähigkeit sowie Alltagskompetenz und Freizeitgestaltung der Betroffenen stark einschränken, was schließlich zu einem spürbaren Rückgang der Lebensqualität führt.

Versorgung neu denken: Der Einfluss psychosozialer Faktoren

Der Umgang mit der eigenen Schwerhörigkeit hängt ebenso wie die Bereitschaft zur Versorgung von psychosozialen Einflussfaktoren ab – also von individuellen Merkmalen wie der persönlichen Anpassungsfähigkeit, dem subjektiven Alternserleben, dem empfundenen Stress oder dem Maß an sozialer Unterstützung. „Diese Faktoren sind nicht nur für die potenzielle Akzeptanz von Hörgeräten bedeutsam, sondern auch für das Gesundheitsverhalten allgemein", betont Prof. Dr. Wurm. Weiterhin erklärt sie: „Sie zu stärken könnte bedeuten, die Lebensqualität betroffener Menschen zu verbessern.“ In der aktuellen Versorgungspraxis bei Schwerhörigkeit finden diese Aspekte bislang kaum Berücksichtigung.

Auswirkungen einer frühzeitigeren Versorgung testen

„Wir wollen mit unseren Studien diejenigen psychosozialen Faktoren identifizieren, die für die Lebensqualität schwerhörender Menschen besonders wichtig sind", erklärt Prof. Dr. Williger. „Möglicherweise spielt hier auch die Nutzung von Hörhilfen mit hinein. Das soll im Rahmen des Projekts systematisch untersucht werden." In dem innovativen Ansatz des Forschungsprojekts AgeHearing-QoL werden demnach Hörgeräte auch bei Teilnehmenden eingesetzt, die nach aktuellen Standards noch keine klinische Indikation dafür haben. „Wir überprüfen, ob eine frühzeitigere Versorgung mit Hörhilfen – entweder allein oder in Kombination mit einem psychosozialen Training – einen Mehrwert für die Lebensqualität der Betroffenen bringen kann", erläutert Prof. Dr. Mazurek.

Wie das Projekt AgeHearing-QoL helfen kann

Um die bestehende Versorgungslücke zu schließen, setzt das Forschungsteam auf einen neuartigen Ansatz: Zwar existieren in der auditiven Rehabilitation bereits verschiedene Trainingsprogramme, doch psychosoziale Einflussfaktoren werden bislang kaum berücksichtigt. Genau hier soll das Forschungsprojekt AgeHearing-QoL nun Abhilfe schaffen. In zwei aufeinander aufbauenden Studien werden zunächst jene psychosozialen Faktoren identifiziert, die entscheidend sind für die Lebensqualität von Menschen mit altersassoziierter Schwerhörigkeit. Auf dieser Grundlage wird ein gezieltes Trainingsprogramm entwickelt, das Betroffene in ihren psychosozialen Ressourcen stärkt.

In einer sechsmonatigen Studie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin wird anschließend untersucht, wie sich dieses Programm – ebenso wie der frühzeitige Einsatz von Hörgeräten – auf die Lebensqualität auswirkt. Ziel ist es, konkrete Handlungsempfehlungen zu erarbeiten, die älterwerdenden Menschen helfen, besser mit ihrem Hörverlust umzugehen und ihre Lebensqualität aktiv zu verbessern.

Gemeinsam für mehr Lebensqualität

AgeHearing-QoL wird von einem breiten Netzwerk getragen: Neben wissenschaftlichen Einrichtungen sind zahlreiche Praxispartner beteiligt – darunter der Deutsche Schwerhörigenbund e.V., die Deutsche Tinnitus-Liga e.V., die Deutsche Stiftung Tinnitus und Hören der Charité, das IGES Institut, ORCA Labs Europe - The Scientific Institute of WS Audiology sowie weitere Fachexperten aus der Versorgung.

Wer Interesse hat, an den Studien teilzunehmen oder sich allgemein über das Projekt informieren möchte, kann sich unter der Mailadresse agehearing-qol@haw-landshut.de an das Projektteam wenden.


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