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Zweiter digitaler Jugendhilfetag für die Region Landshut

„Nicht locker lassen im Kinderschutz!“

so lautete das Motto der Fachtagung am 24. Juni 2021, die nunmehr zum zweiten Mal digital durchgeführt wurde. Die Fakultät Soziale Arbeit konnte als Praxispartner diesmal den Jugendhilfeträger startklar Jugendhilfe Niederbayern gGmbH gewinnen. Die Tagung wurde von einer Arbeitsgruppe mit Lehrenden der Fakultät und mit Fachkräften des Praxispartners vorbereitet. Am Vormittag nahmen mehr als 110 Personen an der Tagung teil, um 16.00 Uhr waren es sogar noch über 80 Personen, die dabeigeblieben waren. 

Video mit Positionen von Careleavern

Nach Grußworten von Dekan Prof. Dr. Stefan Borrmann von Fakultät Soziale Arbeit an der HAW und Heinz Schätzel als Vertreter des Praxispartners, wurde mit einem eindrücklichen Video mit Statements von Careleavern und Fachkräften gestartet. Die Careleaver nahmen kein Blatt vor den Mund: „Fachkräfte sollten nicht alles so persönlich nehmen und nicht als Angriff!“, „Ihr müsste nicht aufgeben, sondern Geduld mit uns haben und uns eine Chance geben“ und „Ihr müsste hinhören, was wir sagen!“ – so einige direkte Botschaften junger Menschen an die Teilnehmer*innen. Das Video wurde von Maximilian Bosser aufgenommen und geschnitten, einem Studenten der Elektrotechnik an der HAW. Er war auch für die technische Umsetzung der gesamten digitalen Tagung verantwortlich, tatkräftig unterstützt wurde von der Fakultätsassistentin Andrea Raebiger.

Videostatements Careleaver

Podiumsdiskussion
Den Aufschlag machte eine multidisziplinäre Runde in einer kurzen und prägnanten Podiumsdiskussion. Beteiligt waren alle Akteur*innen, die auch im Kinderschutz der Region eine Rolle spielen: Michael Börgel (Jugendamt Landshut), Barbara Bruckmeier (Startklar Soziale Arbeit Niederbayern gGmbH), Markus Knoblach (Richter), Dr. Pia Manjgo (Kinderkrankenhaus St. Marien Landshut), Dr. Dominikus Reither (Oberstaatsanwalt), Stilla Waltl (KoKi Stadt Landshut). Hier wurde deutlich, dass der Kinderschutz eine zivilgesellschaftliche Aufgabe ist und alle in der Infrastruktur der Kinder- und Jugendhilfe etwas angeht. Auch alle weiteren Personen aus Organisationen, in denen sich Kinder aufhalten, gehören zum Netzwerk – so war die einhellige Meinung. Der Jugendhilfetag soll hier auch ansetzen, so Prof. Dr. Mechthild Wolff, die Initiatorin des Jugendhilfetages, er soll die Netzwerke zwischen Jugendamt, Trägern, Medizin, Justiz, Schulen, Kitas, Freizeiteinrichtungen und der Hochschule stabilisieren und alle Instanzen zusammenholen, um die Rechte von Kindern und Jugendlichen auf Schutz, Beteiligung, Beschwerde und Entwicklung zu stärken und zugleich Eltern stark zu machen. Die Juristen bei der Diskussion verwiesen auf die Rechte der Eltern, denn der Kinderschutz könne nur dann greifen, wenn die Anhaltspunkte für Gefährdungen eindeutig seien.  

Vortragsblock: Stand des Kinderschutzes und Fehler im Kinderschutz


In einem ersten Vortragsblock sprach Prof. Dr. Heinz Kinder vom Deutschen Jugendinstitut in München, für den dies gleichzeitig die Antrittsvorlesung als frisch berufender Honorarprofessor an der Hochschule war. Er machte auf die Stärken und Schwächen des Kinderschutzes aufmerksam: Im deutschen Kinderschutzsystem werden schnellere Entscheidungen getroffen als in einigen benachbarten Ländern, so Kindler, aber u.a. müsse die systematische Erfassung von Gefährdungen und der Einbezug von Kindern bei der Maßnahmenplanung verbessert und das ambulante Hilfesystem müsse erweitert werden. Seinem Vortrag folgte der von Christine Gerber ebenfalls vom Deutschen Jugendinstitut. Sie befasst sich seit vielen Jahren mit Fehlertheorien im Kinderschutz, sie plädierte dafür, mögliche Fehlerquellen im Kinderschutz proaktiv in den Blick zu nehmen, damit sie vermieden werden können. Dafür müssten aber Fachkräfte fehleroffen und sensibel dafür werden, solcher auch zu erkennen.


Vortrag Prof. Dr. Heinz Kindler

Vortrag Christine Gerber

Vortragsblock: kinder- und jugendrechtsbasierter Kinderschutz

Im zweiten Vortragsblock ging es um eine kinder- und jugendrechtsbasierte Analyse einer konkreten Fallgeschichte, wie sie im Kinderschutz vorkommen kann. Dafür entwickelte eine Vorbereitungsgruppe eine fiktive Fallgeschichte, die in einem Animationsfilm vorgestellt wurde, den Prof. Dr. Bettina Kübeck von der Fakultät für Soziale Arbeit erstellt hatte. Der Fall wurde sodann aus dreierlei Perspektiven kommentiert: von Prof. Dr. Ulrike Urban-Stahl von der Freien Universität Berlin bezogen auf Schutzrechte, Prof. Dr. Timo Ackermann von der Alice Salomon Hochschule Berlin bezogen auf Förder- und Entwicklungsrechte und von Prof. Dr. Remigius Stork von der Hochschule Münster bezogen auf Beteiligungsrechte. Die erkenntnisreichen Vorträge legten offen, dass bereits die Konstruktion von Fällen Ausdruck von Zuschreibungen und Schuldzuweisungen sein kann. Dies verwies auf die Fehleranfälligkeit, die bereits in der selektiven Wahrnehmung derer begründet sein kann, die Fälle dokumentieren. Deutlich wurde auch, dass Schutz, Beteiligung, Beschwerde und Förderung unveräußerliche Rechte darstellen, die immer gelten und nicht begründungsbedürftig sind. Verwiesen wurde zudem auf Rechte auf Familie, Freizeit und Erholung, was beinhaltet, dass Familien breite Unterstützung, Entlastung, Öffnung und Integration im Umfeld benötigen, sodass es gar nicht zu Kinderschutzfällen kommt. Dem Recht auf Beteiligung wurde präventive Bedeutung zugesprochen, sie bezieht sich auf alle Kinder und Jugendliche sowie auf ihre Eltern. Insgesamt machte der Regionale Jugendhilfetag klar, dass ein gelingender Kinderschutz die Rechte junger Menschen noch deutlicher vor Ort ausbuchstabieren muss. Dies kann aber nur durch den fruchtbaren Diskurs im multidisziplinären Netzwerk des Kinderschutzes weiterentwickelt werden.


Vortag Prof. Dr. Timo Ackermann

Vortrag Prof. Dr. Remi Stork

Nach Breakout-Sessions, in denen sich die Teilnehmer*innen austauschten zu den vielfältigen Themenangeboten, wurde von Prof. Dr. Mechthild Wolff auf das Angebot aufmerksam gemacht, dass im Zukunft Workshops konzipiert werden sollen, die zum Ziel haben, Fallgeschichten gemeinsam mit Fachkräften, Studierenden und Lehrenden zu analysieren. Sie gab zudem bekannt, dass der 3. Regionale Jugendhilfetag im Jahr 2022 das Thema Soziale Arbeit an der Schulde aufgreifen wird.
Bericht von Mechthild Wolff