Beruf, drei Kinder, Hausbau und ein straffer Freizeitplan. Das sollte für den Otto Normalverbraucher schon genug Stress und Herausforderung im Leben bedeuten. Stressig ist das für Melanie Kästel aus Adlkofen zwar auch, doch um im Job weiter aufzusteigen, setzt die 39-jährige noch einen drauf und studiert seit zwei Jahren an der Hochschule Landshut Wirtschaftsingenieurwesen. Und das berufsbegleitend. „Pausen gibt es bei mir nicht“, sagt Melanie Kästel. Ihr Tag beginnt jeden Morgen um 6.30 Uhr damit, dass sie ihre drei Kinder für Kindergarten und Schule fertig macht. Den elfjährigen Sohn fährt sie dann in die Schule nach Ergolding, bevor es weiter in ihre Arbeit, an den Flughafen München, geht. Dort ist sie seit acht Jahren bei einer Tochterfirma der Lufthansa beschäftigt. Bis zu ihrem Studium schulte sie Flugbegleiter und Piloten in Sachen Rettung und Sicherheit, wie etwa den Umgang mit Gefahrengütern. Als sie sich 2017 intern auf eine Referentenstelle bewarb, scheiterte sie. Der Grund: Ihr fehle der wirtschaftliche Aspekt. Bis dato hatte sie seit ihrem Abitur eine Ausbildung zur Kosmetikerin gemacht, vier Semester Biologie und Englisch auf Lehramt studiert und einige Jahre als Stewardess gearbeitet. Ihr Teamleiter wollte die damals 37-Jährige trotzdem fördern, und deshalb sagte er ihr auch zu, als diese ihm vorschlug, an der Hochschule Landshut den Studiengang Wirtschaftsingenierwesen zu studieren. Die Studiengebühren von 18000 Euro (gesamtes Studium) übernimmt ihr Arbeitgeber größtenteils.
„Ohne meinen Mann würde ich es nie schaffen“
Montag bis Donnerstag arbeitet sie am Flughafen. Freitag und Samstag ist sie an der Hochschule. „Dass der Arbeitgeber hinter einem steht, ist unheimlich wichtig“, so Kästel. Inzwischen studiert sie im fünften Semester (von acht). Die Referentenstelle hat sie unterdessen auch bekommen. „Das aber nur aufgrund des Studiums“, ist sie sich sicher. Trotzdem möchte sie das Studium bis zum Abschluss durchziehen. Auch wenn „die Vereinbarkeit manchmal schwierig ist“, sagt sie: „Vor allem in der Prüfungsphase.“ Einige Module kann man online machen. Unter der Woche versucht Kästel außerdem am Abend etwas für die Uni zu tun. Doch eine Stütze hat sie, ohne die sich Job, Kinder und Studium nicht vereinbaren ließen: „Ohne meinen Mann würde ich es niemals schaffen.“ Der arbeitet halbtags, holt die Kinder (vier, sechs und elf Jahre) von Kindergarten und Schule ab. „Die sehen die Mama natürlich viel seltener als früher“, so die 39-Jährige. Trotzdem ist ihre Familie stolz auf sie. „Mein ganzes Umfeld findet das toll, dass ich noch mal studiere“, erzählt sie. Um 18 Uhr ist Melanie Kästel fertig mit der Arbeit am Flughafen. Auf dem Rückweg nach Adlkofen holt sie ihren Sohn Ben vom Fußballverein ab. Zuhause wartet dann auf sie nicht nur das Familienleben mit gemeinsamen Essen und Kinder ins Bett bringen, sondern zugleich muss die 39-Jährige noch die Bücher zücken und lernen. „Wenn du am Freitag in die FH kommst, solltest du den Stoff der letzten Woche können“, so Kästel. Ausgleich findet die dreifache Mutter im Sport. Mit Laufen und Tennis (dort ist sie Mannschaftsführerin) hält sie sich fit. „Zuhause sitzen, das sind wir nicht“, sagt sie. Als sie im Wintersemester 2017 mit dem Studium begann, steckte sie mit ihrem Mann gerade im Hausbau. Aber auch das meisterte sie. Von ihren 15 Kommilitonen sind noch zwölf über. Sie ist die einzige Frau. Viele sind Mitte 20. „Vier sind über 30“, so die 39-jährige Studentin. Es gibt Situationen, in denen sie über den Altersunterschied zu ihren Studienkollegen nur schmunzeln kann. Zum Beispiel, wenn der Dozent sagt: „Stochastik hatten sie ja noch in der elften und zwölften Klasse.“ Daran kann sich Kästel dann oft nicht mehr erinnern: „Schließlich ist das bei mir über 20 Jahre her.“ 60 Prozent sind im Studium Elektrotechnik. „Da tue ich mir extrem schwer“, meint die Adlkofenerin, da sie zuvor damit noch nichts zu tun hatte. Aber ihre Studienkollegen unterstützen sie. Man trifft sich und lernt zusammen. Dafür kann sie den anderen mit Englisch helfen. „Es ist ein Geben und Nehmen.“ In ihrem ersten Studium habe sie die Ernsthaftigkeit noch nicht so gesehen, sagt sie. Dafür falle ihr jetzt das Lernen schwerer, je älter sie wird. Das kann auch die Professorin Andrea Badura bestätigen, die zuständig ist für den Studiengang. Trotzdem habe man auch einen Vorteil, wenn man erst eine Ausbildung macht, arbeitet und dann nebenbei studiert, denn man könne das, was man lernt, direkt anwenden, und hat einen praktischen Bezug.
„Die wissen, wieso sie das machen“
An die 5000 Studenten studieren derzeit an der Hochschule in Landshut. 130 von ihnen machen den berufsbegleitenden Bachelor. Der Stoff ist derselbe wie im Vollzeitstudium. Daher war der berufsbegleitende Bachelor laut Badura auch zu Beginn in der Fakultät durchaus umstritten. Deshalb mussten die ersten berufsbegleitenden Studenten die gleichen Prüfungen zur gleichen Zeit schreiben, wie die Vollzeit-Studierenden. Und siehe da: Sie schnitten sogar besser ab. Den entscheidenden Vorteil sieht Badura neben dem praktischen Bezug auch in der Ernsthaftigkeit, mit der die Studenten an ihr Studium gehen. „Sie sind in der Regel hochdiszipliniert und haben eine wahnsinnige intrinsische Motivation“, sagt die Professorin: „Die wissen, wieso sie das machen.“ Und Melanie Kästel? Sie will ihr Studium jetzt weiter durchziehen und vielleicht noch einen Master draufsetzten. „Irgendwas mach ich bestimmt noch“, sagt sie: „Sonst wird mir ja langweilig.“ Quelle: Landshuter Zeitung vom 24.09.2019