Leichtbau als „Gamechanger-Technologie“ der Zukunft

9. Landshuter Leichtbau-Colloquium bot wertvollen Treffpunkt für den Austausch aktuellster Erkenntnisse und Entwicklungen zwischen Forschung und Praxis.

Einen Treffpunkt der Fachwelt bot das 9. Landshuter Leichtbau-Colloquium am 27./28. Februar an der Hochschule Landshut. Rund 170 Experten diskutierten neueste Trends und Entwicklungen dieser Schlüsseltechnologie. Organisiert vom Leichtbau-Cluster der Hochschule wurden in 44 Vorträgen von Experten aus Universitäten, Hochschulen und Forschungseinrichtungen sowie von OEMs, Zulieferern und Dienstleistern die vielfältigen Aspekte des Leichtbaus beleuchtet.

Die Realisierung innovativer Leichtbaustrukturen erfordert es, einen weiten Bogen von der Entwicklung der Ausgangsmaterialien über die Untersuchung relevanter Grenzflächen und Volumeneigenschaften sowie die Berechnung und Simulation bis hin zur Produktions-und Prozesstechnik zu spannen. Beim 9. Landshuter Leichtbau-Colloquium mit dem Titel „Leichtbau in Forschung und industrieller Anwendung von der Nano- bis zur Makroebene“ (27./28. Februar 2019) wurden neueste Erkenntnisse von der Grundlagenforschung bis hin zum fertigen Leichtbau-Produkt präsentiert.

Bedeutung des Themas Leichtbau beim Wirtschaftsministerium angekommen

Einleitend betonte Ministerialrat Werner Loscheider, Leiter Referat Bauwirtschaft, Ressourceneffizienz und Leichtbau, Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, die große Bedeutung des Leichtbaus gerade vor dem Hintergrund des erwarteten enormen Anstiegs des Ressourcenverbrauchs durch die steigende Weltbevölkerung und technologische Entwicklungen. Der Leichtbau könne einen wichtigen Beitrag zur Ressourceneffizienz leisten und die Bedeutung des Themas sei auch auf höchster Regierungsebenen angekommen: In der nationalen Industriestrategie 2030 werde der Leichtbau als „Gamechanger-Technologie“ betrachtet. Im Rahmen der Initiative Leichtbau des Bundeswirtschaftsministeriums sei u.a. ein branchen- und materialübergreifendes „Technologie-Transfer-Programm Leichtbau“ im Entstehen begriffen, das einen ganzheitlichen Ansatz entlang der gesamten Wertschöpfungskette verfolge und in dem die erste Förderphase für Januar 2020 geplant sei. Regierungspräsident Rainer Haselbeck hob die Bedeutung von technologischen Innovationen für die Region Niederbayern hervor, speziell die Hochschulen spielten dabei eine wichtige Rolle, um zusammen neue Ideen zu entwickeln. Und das Landshuter Leichtbau-Colloquium an der Hochschule Landshut, das sich mit einem zukunftsweisenden Thema befasse, sei seit Jahren ein Highlight im wissenschaftlichen Kalender, dies über die Region und Ländergrenzen hinaus. Die Bedeutung des intensiven Austauschs zwischen Wissenschaft und Wirtschaft betonte auch  Hochschulpräsident Prof. Dr. Karl Stoffel in seiner Begrüßung, dabei spiele besonders der Leichtbau an der Hochschule seit knapp 20 Jahren eine wichtige Rolle.  

Neue Konzepte für die E-Mobility erforderlich

Zwei Keynotes von renommierten Leichtbau-Experten bildeten den Auftakt des Fachprogramms: Dr.-Ing. Martin Hillebrecht (Leiter Competence Center Leichtbau, Werkstoffe & Technologien, EDAG Engineering GmbH, Fulda) beleuchtete in seinem Vortrag „Neue Leichtbauprozessketten für das Fahrzeug von morgen" die Möglichkeiten und Herausforderungen an den Leichtbau entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Die aktuellen Herausforderungen der Mobilität, wie E-Mobility, Digitalisierung und autonomes Fahren, seien auch „Gewichtstreiber“. So wiege das Batteriesystem bei einem Fahrzeug z.B. 540 Kilo, auch zusätzliche Sicherheitsansprüche müssten hier  berücksichtigt werden. Leichtbau werde der strategische Hebel für die Weiterentwicklung des Automobils sein, ist er überzeugt. In verschiedenen Innovationsprojekten habe sein Unternehmen Fahrzeugkonzepte und Ansätze entwickelt, die von der Konstruktion und Produktion von Fahrzeugen bis zum Recycling reichen.

So könnten beispielsweise Elektrofahrzeugen auf den Anspruch von kommerzieller Mobilität in Städten optimiert werden, mit zweckmäßigen Reichweiten, wenig Stauraum und langer Produkt-Nutzungsphase. Dabei sieht er eine Möglichkeit für den Leichtbau in der Kombination vermeintlich teurer Einzeltechnologien zu bezahlbaren Systemlösungen, wie beispielsweise der Einsatz von hochumformbaren und hochfesten Stahlwerkstoffen, beplankt mit Dünnblech- oder Sandwichelementen. Im EU-Innovationsprojekt FiberEUse werde Wert auf geschlossene Wertschöpfungsketten gelegt. Dies u.a. durch die Entwicklung von Wiederverwertungswegen für Glas- und Kohlenstofffaser-Kunststoff-Verbunde. Bei der Betrachtung des gesamten Lifecycle seien wiederverwendbare Komponenten, z.B. bei schwer recycelbaren CFK-Strukturen, die für mehrere Fahrzeugleben konstruiert werden könnten oder auch Reparaturkonzepte und lösbare Verbindungen, die ein Recycling ermöglichen, zielführende Konzepte. Auch die Digitalisierung mit ihren wachsenden Möglichkeiten für Simulation, Konstruktion und Produktion, hier seien auch ausreichend charakterisierte Werkstoffe wichtig, schaffen ein enormes Leichtbaupotenzial.

Hohes Leichtbaupotenzial von Magnesium und Magnesiumblechen nutzen

Mit einem Werkstoff, der trotz seines sehr hohen Leichtbaupotenzials nur bedingt Einsatz findet, dem Magnesium, befasste sich die zweite Keynote. Prof. Dr.-Ing. Karl Ulrich Kainer (Director Institute of Materials Research, Magnesium Innovation Centre, Helmholtz-Zentrum Geesthacht) zeigte, dass zwar im Druckguss erzeugte Magnesiumteile wie z.B. Instrumententafeln oder Lenkräder im Automobilbau eingesetzt werden, doch fänden Magnesiumbleche nur selten und bei kleineren Stückzahlen, wie z.B. das Dachelement des aktuellen Porsche 911 GT3 RS (Gewichtsreduktion von 7,5 Kilogramm bei Stahl auf 2,3 Kilogramm bei Magnesium), Verwendung. Dies trotz technologischen Fortschritten in der Herstellung: Die Produktion des Urmaterials sei durch neue Prozesse um ein Vielfaches CO2-emissionsärmer geworden, gerade durch die Herstellung von Blechen im Gießwalzverfahren seien neue Möglichkeiten entstanden und die Produktion deutlich kostengünstiger möglich. Er stellt Konzepte und Verfahren zu Oberflächenbehandlung, Beschichtung und neue Legierungen vor, mit denen Herausforderungen des Materials wie z.B. Korrosionsverhalten oder Brennbarkeit, gelöst werden können. Ein ganz neues Anwendungsfeld für Magnesium bestehe in der elektro-chemischen Energiespeicherung: In Metall-Luft-Batterien mit einem Magnesium-Hochleitungselektrodenmaterial könnten deutlich höhere Energiedichten gegenüber Lithium-Ionen-Batterien erreicht werden; die derzeitige Herausforderung liegt u.a. in der Analyse und Kontrolle der Eigenkorrosion.

Dass auch die Industrie aktuell überlegt, in Volumenmodellen auf das Leichtbaupotenzial von Magnesiumblechen zu setzen, zeige ein Prototyp der Heckklappe für den neuen VW Passat B8. Diese Heckklappe, bestehend aus Innen- und Außenblech sowie Anbauteilen aus einer gießgewalzten Magnesium-Zink-Calcium-Legierung, ist um 50 Prozent leichter als die vergleichbare Serienkonstruktion aus Stahl, wie Prof. Dr.-Ing. Otto Huber, Initiator des Leichtbau-Colloquiums, erläutert.  Um das Potenzial von Magnesiumblechen über einen virtuellen Produktentwicklungsprozess für die Großserie besser nutzen zu können, hat das Kompetenzzentrum Leichtbau der Hochschule Landshut (LLK) zusammen mit der Paris Lodron Universität Salzburg im gemeinsamen Forschungsprojekt „nano to macro“ ein Verfahren zum Nachweis der Betriebsfestigkeit entwickelt. Dies sei Grundlage für die Auslegung von Bauteilen unter Berücksichtigung von realen Lastfällen und der Berechnung der Lebensdauer – und damit für den Einsatz des Materials in der Serienproduktion. In mehreren Vorträgen wurden Untersuchungen vom Materialverhalten gießgewalzter Magnesiumbleche auf der Nanoebene, der Werkstoffcharakterisierung auf der Mikro- und Makroebene, bis zur Entwicklung eines neuen Betriebsfestigkeits-Berechnungsverfahrens durch Vertreter der Projektpartner vorgestellt.

Leichtbau in vielfältigen Facetten beleuchtet

In jeweils drei parallelen Sessions an zwei Tagen wurden die vielfältigen Aspekte des Leichtbaus beleuchtet. Die Themen der Sessions lauten: Additive Fertigung, Auslegung von Leichtbaustrukturen, Betriebsfestigkeit, Bionik, Faserverbundwerkstoffe, Hybride Strukturen, Leichtbaukonstruktion, Prozesstechnik, Prüfverfahren, Sandwichstrukturen, Simulation und Verbindungstechnik. Viele Vorträge befassten sich mit Werkstoffthemen, von neuen Faserverbundwerkstoffen wie biogenen Heavy Tows auf Basis von Hanfbastrinde (Sächsisches Textilforschunsinstitut e.V.) und 3D-gedruckte Holzfilamente (Fachhochschule Salzburg) über neuartige schweißbare Edelstahl-Polymer-Sandwichstrukturen (Outokumpu Nirosta GmbH) bis hin zu Untersuchungen von Titan-Aluminium-Legierungen (Hochschule Landshut). Die gewichtsoptimierte Auslegung von Leichtbaustrukturen, beispielsweise von beanspruchungsgerechten Faserverbundbauteilen (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg), hybriden Leichtbaustrukturen (Universität des Saarlandes) oder diskreten Sandwichstrukturen, bei denen aus Beanspruchungsgründen in manchen Bereichen auf die Kernschicht verzichtet werden kann (Airbus Helicopters Deutschland GmbH), waren ebenso Thema wie Prüfverfahren, Betriebsfestigkeitskonzepte sowie Prozesstechniken. Dies u.a. bei lokal verstärkten Triaxialgeflechten (BMW Group, Landshut), Hybridbauteilen aus Metallblechen und Langfaserthermoplasten (Universität Siegen) oder bei Carbon-SMC (ENGEL Austria GmbH) im Automobilbau.

In diesen und weiteren Themen gaben die Vorträge von Vertreter/innen von Universitäten, Hochschulen und Forschungseinrichtungen Einblicke in aktuelle Ergebnisse ihrer Forschungsaktivitäten, Industrievertreter vom Weltkonzern bis zum mittelständischen und kleineren Unternehmen präsentierten ihre neusten Entwicklungen. Dies auch in der begleitenden Fachausstellung, die einen steten Treffpunkt darstellte, an dem die vielfältigen Leichtbauthemen lebhaft diskutiert und vertieft wurden. Detailliert ausgearbeitete und begutachtete Beiträge über die Themen des 9. Landshuter Leichtbau-Colloquiums bietet der Tagungsband, der über den Leichtbau-Cluster erhältlich ist.