Kollaboratives Projektmanagement für effektive Prozesse

Mit den Herausforderungen und Potenzialen eines Projektmanagements über die Unternehmensgrenzen hinaus, unter Einbeziehung von Dienstleistern und Zulieferern, befasste sich das mittlerweile 5. Netzwerkforum Projektmanagement am 17. Juni 2021 an der Hochschule Landshut.

Hochschulvizepräsident Prof. Dr. Holger Timinger begrüßte die rund 50 Teilnehmer/innen beim virtuell stattfindenden Netzwerkforum. Das Thema der Veranstaltung sei aus dem vom Bund geförderten Forschungsprojekt „HyValue - Hybridisierung der Value Chain“, das sich mit der Zusammenarbeit über Unternehmensgrenzen durch abgestimmtes Projektmanagement am Beispiel der Automobilindustrie befasst am Institute for Data and Process Science (IDP) entstanden, dessen Leiter Prof. Dr. Timinger ist. Und auch beide Referenten des Abends sind am Projekt beteiligt. Markus Schmidtner, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am IDP berichtete über aktuelle Erkenntnisse aus dem Projekt.

Komplexes Projektmanagement in der Automobilindustrie

Heutige Automobilhersteller hätten die Entwicklungsarbeit und auch die Fertigung häufig ausgelagert. 2005 seien 90 Prozent Fremdanteil gewesen, was sich in den letzten Jahren eher noch gesteigert habe, wie Schmidtner erläuterte. Dies habe enorme Kosteneinsparungen gebracht, erfordere aber auch eine sehr eng vernetzte Zuliefererkette und ein sehr komplexes Projektmanagement. Toyota habe etwa 36.000 Zulieferer alleine in den USA, VW 40.000 weltweit. Tesla dagegen habe nur 300 Zulieferunternehmen und damit sei das Projektmanagement wesentlich einfacher, was eine der Hauptursachen für den technologischen Vorsprung gewesen sei.

Beim traditionellen OEM reiche die Supply-Chain von wenigen 1st Tier Zulieferer für Module und Systeme bis zu einer großen Zahl von 3nd Tier-Zulieferern für Halbfabrikate, Normteile usw. Dies bedeute einen langen Weg bis zum fertigen Produkt, und gerade bei der Entwicklung neuer Fahrzeuge auch lange Verzögerungen von Stufe zu Stufe, um das geforderte technologische Niveau zu erreichen. Eine besondere Herausforderung sei dabei, dass 3rd Tier Zulieferer zwar das unterstes Glied in der Lieferkette seien, diese aber zuerst liefern müssen. Nur durch ein gutes Projektmanagement über die gesamte Lieferkette hinweg könne erreicht werden, dass diese eher starten, Fehler früh erkannt und so Kosten und Zeit gespart werden können.

Bei den Automobilunternehmen sei mittlerweile eine prozessorientierte auch weltweite Kollaboration mit übergreifenden Prozessen über Unternehmensgrenzen hinweg in den Mittelpunkt gerückt. Durch diese Netzwerkstrukturen habe die Komplexität des Projektmanagements drastisch zugenommen. In der Automobilindustrie sei dies eher ein sequenzieller Prozess, in den nach und nach neue Teilnehmer eingebunden werden, verbunden mit einem Datenaustausch über z.B. gemeinsame IT-Infrastruktur oder das gemeinsame Abstimmen von Aufgaben und Terminen. Die komplexeste Form sei eine reziproke Zusammenarbeit, in der jeder mit jedem ohne strukturiertem Pfad zusammenarbeiten und Ressourcen oder Wissen teilen könne. Strategische Partnerschaften werden angestrebt, um die eigene Marktposition zu stärken. Aktuell würden gerade große Player aus der IT-Branche gesucht, um dem IT-lastigen Wettbewerber Tesla Paroli bieten zu können. 

Dies ziele auf eine sog. „Coopetition“, die Kooperation und Wettbewerb (Competition) beinhalte. Es würden gemeinsame Vorteile aus der Zusammenarbeit gezogen, aber auch Risiken im Auge behalten. So soll eine Stärkung der Wettbewerbsposition, höhere Flexibilität durch Ressourcenteilung sowie Risikoverteilung und eine Erhöhung der (Meinungs-)Vielfalt ermöglicht werden. Herausforderungen seien dabei die Abhängigkeit vom Partner, hoher Koordinationsaufwand, eine Erhöhung der (Haftungs-)Risiken und unterschiedliche Kulturen. Umgesetzt würde dies z.B. bereits im Luftfahrsektor bei der Star Alliance. Darin würden 20.000 Flüge am Tag über ein gemeinsames Netzwerk abgewickelt, in dem sich alle miteinander austauschen. Insgesamt sei eine höhere Kundenzufriedenheit durch gemeinsame Angebote sowie eine Kostenteilung und Markterweiterung erreicht worden.

Große Herausforderungen für ein komplexes Projektmanagement

Als Hindernisse bei einem übergreifenden Projektmanagement identifiziert Schmidtner Kommunikationsschwierigkeiten, die Aufsicht ohne Weisungsbefugnis über Unternehmensgrenzen hinaus, unterschiedliche organisatorische und technische Kultur, fehlende Unabhängigkeit, unterschiedliche Ziele und Mangel an Vertrauen bei Partnern. Während das Vertrauen zueinander in der Automobilbranche gewachsen sei, verhindere mangelndes Vertrauen in manch anderen Branchen noch die unternehmensübergreifende Zusammenarbeit.

Für gelingende Prozesse sei es wichtig, Synchronisationspunkte herauszufinden und zu definieren, wie und welche Informationen ausgetauscht und genutzt werden. Möglicherweise sei es auch sinnvoll, alternative Reifegradmodelle einzusetzen, um jedem Partner zu ermöglichen, die Prozesse so zu gestalten wie es ihm die meisten Vorteile verspricht, über eine Schnittstelle aber relevante Informationen an Partner weiterzuleiten. Daneben müsse man sich über den Informationsgehalt Gedanken machen: Was zeige ich Partnern, was halte ich bei mir, um Know-how-Abfluss zu verhindern, gemeinsame Entwicklungen aber zu ermöglichen, laute die Frage. Ein weiterer zentraler Aspekt sei eine gemeinsame Sprache, beispielsweise mit einem Glossar zur Definition von Begriffen, um Hindernisse und Missverständnisse zu vermeiden.

Eine wichtige Grundlage, um eine agile Umgebung zu schaffen, bildet eine für kollaboratives Projektmanagement geeignete IT-Plattform. Diese müsse Daten für alle verfügbar machen, aber auch Daten abschirmen, die Unternehmen nicht teilen wollen. Wie ein solches IT-System mit hybridem Projektmanagement im kollaborativen Kontext aussehen kann, zeigte Dr. Thomas Holzmann (collaboration Factory AG, München) im zweiten Vortrag des Abends.

Unterschiedliche Kulturen müssen zusammenfinden

Auch Dr. Holzmann betonte die Bedeutung der Kommunikation im Projektmanagement. Teilnehmer aus Unternehmen mit unterschiedlichen Kulturen müssten sich erst finden. Unterschiedliche Perspektiven erhöhen den Anteil asymmetrischer Interpretationen, ein Objekt könne unterschiedlich interpretiert werden, was zu Missverständnissen führe. Andererseits führen unterschiedliche Perspektiven zu Innovationen, wenn man Autonomie zulasse, könne Neues, Unerwartetes entstehen. Eine digitale Plattform ermöglicht eine individuelle Perspektivenvielfalt, die zentral gesteuert und verwaltet wird. Über den Zugriff auf eine gemeinsame Datenbasis könne man z.B. über KPIs kontrollieren ob Arbeitspakete geliefert wurden oder Terminverschiebungen und deren Auswirkungen auf Folgetermine direkt allen Betroffenen mitteilen.

Die digitale Plattform müsse als Intermediär gleichzeitig Datenbasis, Schnittstelle und Bindeglied für Interaktion in Projekten und für übergreifende digitale Kollaboration sein. Über diese zentrale Plattform, die alle Akteure einbindet, könne die Komplexität, die bei einer Kommunikation aller mit allen entstehen würde, minimiert und so die Zusammenarbeit vereinfacht werden. Die Interaktion werde durch die Zentralisierung der Datenhaltung und die Bereitstellung fachlicher Methoden und Mechanismen vereinfacht. Dabei behalte jedes Unternehmen seine Perspektive auf die Daten. Am Beispiel der kollaborativen Arbeitsumgebung cplace, die projektorientiertes Arbeiten - hybrid, kollaborativ und unternehmensübergreifend – ermögliche, zeigt er, wie eine solche Lösung umgesetzt werden kann.

Virtuelle Kollaborationsplattform als Baukasten  

Gerade die Interoperabilität stelle eine große Herausforderung dar: Digitale Plattformen müssen Schnittstellen und Daten aus verschiedensten Hardware- und Software-Systemen verarbeiten können und dabei firmeneigene Lösungen, eigene Server oder eine eigene Cloudinfrastruktur berücksichtigen. Dabei bleiben Unternehmen immer Eigentümer der Daten, die diese aber mit allen Partnern teilen können. Die Plattform diene als Backendsoftware, die Lösungsbausteine wie z.B. ein hybrides Projektmanagement je nach Kundenbedarf bereitstellt. Dabei können viele Anpassungen mit wenig Aufwand durchgeführt werden, siebzig bis achtzig Prozent der Anwendungsfelder wären über No- und Low-Code-Änderungen zur Laufzeit möglich – also ohne oder mit begrenzten Programmierkenntnissen.

Daten aus der Projekt-, Prozess und Produktwelt würden abgebildet und im Kollaborativen Umfeld den Bedürfnissen von z.B. Software-Entwicklern ebenso wie Managern oder Businessanalysten zur Verfügung gestellt – in den für Sie passenden Darstellungen und Benutzeroberflächen. Auf einer Cloudinfrastruktur können auch getrennte Arbeitsräume eingeführt werden. So habe ein OEM ebenso wie ein KMU oder eine beteiligte Hochschule seine eigenen Arbeitsbereiche, gleichzeitig könne in gemeinsamen Projekträumen, die mit den nötigen Daten befüllt sind, kooperiert werden. Nur wenn jeder im richtigen Moment die richtigen Infos habe, könnten firmeninterne Termin- und Aufgabenpakete ebenso wie unternehmensübergreifende Kollaboration durchgeführt und der Status von Projekten etc. abgefragt werden.

Das Projektmanagement von Morgen bedeute grenzenlose Zusammenarbeit, je nach Kontext mit unterschiedlichen Tools und Daten. Agile Projektmanagementmethoden könne ebenso wie traditionelle Vorgehensweisen eingebunden werden und über ein Enterprise Board Sprints oder eine vernetzte Terminplanung mit Ampelstatus sowie ein Risikomanagement realisiert werden. Komplexe Netzwerke können so abgebildet und der Management-Ebene durch eine Datenaggregation alle nötigen Informationen über den Projektstatus geliefert werden.

Aktuelle Informationen zur Veranstaltungsreihe finden Sie immer unter www.haw-landshut/netzwerkforum-pm.