Maßgeschneiderte Fahrzeug-Bordnetze mit Standardisierung und Simulation

Expertentreff Bordnetzkongress mit der Hochschule Landshut als langjährigem Partner fand heuer erstmals online statt.

Beim Bordnetzkongress treffen sich einmal jährlich Entwickler und technische Experten aus der gesamten automobilen Wertschöpfungskette, um sich über aktuelle Entwicklungen in diesem komplexen Themenfeld zu informieren und zu diskutieren. Der mittlerweile 9. Bordnetzkongress, initiiert vom Fachmedium Elektronik automotive des Weka-Fachverlags, finde erstmalig virtuell und nicht wie gewohnt an der Hochschule Landshut statt, wie Chefredakteur Gerhard Stelzer in seiner Begrüßung erklärte. Er bedankt sich bei der Hochschule, die den wohl deutschlandweit einzigartigen Studiengang „Bordnetzentwicklung“ anbiete, dessen Leiter Prof. Dr. Mathias Rausch auch Leiter des Programmkomitees des Kongresses sei und wieder ein ansprechendes Programm mit führenden Experten aus dem Bordnetzbereich zusammengestellt habe.

Auch Prof. Dr. Fritz Pörnbacher, Präsident der Hochschule Landshut, freute sich über die langjährige gute Zusammenarbeit bei der Veranstaltung. Die aktuellen Entwicklungen und Herausforderungen im Automobilbereich, von CO2-Senkung über autonomes Fahren bis zur E-Mobilität, hätten große Auswirkungen auf das Bordnetz, dem Herzstück eines Fahrzeugs. Diese könnten nur von Experten aus unterschiedlichen Fachrichtungen gemeistert werden, die er in seinem Grußwort beim Kongress herzlich begrüßte.

Mit Standardisierung Bordnetze entwickeln

In der ersten Keynote „Evolution des Energiebordnetzes: Maßgeschneiderte Lösungen auf Basis eines Baukastenprinzips“ befassten sich Martin Hopf (LEONI-Bordnetz-Systeme) und Sebastian Kahnt (Intedis) mit der Energie- und Datenverteilung im Fahrzeug unter Berücksichtigung der enormen Herausforderungen im Automobilsektor. Gerade durch die Vorbereitung auf das autonome Fahren und die E-Mobilität hätten sich die Rahmenbedingungen verändert, hohe Energien müssen sicher übertragen werden, neue Stecksysteme entwickelt und die Auslegung optimiert werden. Hochvoltbordnetze seien nicht nur für autonomes Fahren die Basis, sondern müssten auch als zentrale Energiequelle für andere Systeme dienen.

Die bisherigen Architekturen seien nicht geeignet, um Herausforderungen für das autonome Fahren zu erfüllen, das Energie-Bordnetz werde durch neue Anforderungen und Safety-Requirements deutlich komplexer. Für das Energiemanagement müssten beispielsweise 550 Einzelfunktionen mit zusätzlichen Unterfunktionen realisiert werden. Eine Vorhersage der Leistungsfähigkeit und der Energieleistung sei ebenso nötig wie eine permanente Überwachung aller Bordnetzte und das Implementieren von Diagnoseverfahren. Auch müsse eine Rückwirkungsfreiheit garantieren sein, d.h. Fehler in nicht sicherheitsrelevanten Verbrauchern dürfen keine Rückwirkung auf sicherheitsrelevante Systeme haben.

Es gebe unterschiedliche Ansätze, wie Funktionen realisiert werden, zusätzlich habe man sich beim Automobilzulieferer Leoni die Frage gestellt, wie Komponenten für verschiedene Entwicklungen standardisierbar gemacht werden könnten. Er stellt drei Ansätze vor: Im sog. "Risk averse-Ansatz" bleiben vorhandene Komponenten soweit möglich bestehen, neue Funktionen werden über neue zusätzliche kleine Komponenten realisiert. Beim "revolutionären Ansatz" werden Funktionen mit möglichst wenigen Komponenten umgesetzt. Je mehr Anforderungen aber in einer Komponente zusammengefasst werden, desto komplexer werde diese und umso mehr Varianten seien für unterschiedliche Fahrzeuge und Anforderungen nötig. Über Fahrzeuge und Fahrzeugplattformen hinweg sei es hier schwierig zu standardisieren. Folge man dem "Evolution Aproach", der einen Mittelweg darstellt, werden relativ viele Komponenten eingesetzt, die Komplexität bleibe geringer.

Sowohl der evolutionäre als auch der Risk averse-Ansatz seien für kurz oder mittelfristige Entwicklungen besser zu realisieren. Dies verlange zwar mehr Aufwand bei der Entwicklung des Systems durch viele unterschiedliche Komponenten, diese könnten allerdings besser standardisiert und so für verschiedene Anwendungen eingesetzt werden. Sinnvoll sei ein Baukastensystem mit Standardisierung von Modulen für verschiedene Funktionen. Bei Leoni würden Baukästen für Hard- und Softwaremodule entwickelt, man arbeite an Puzzlestücken, die in einem Baukastensystem abgelegt und nach Kundenforderungen zusammengefügt werden können. Insgesamt müsse die Standardisierbarkeit erst bei den OEM erhöht werden, z.B. über die Standardisierung von Plattformbaureihen, dann OEM-übergreifend.

Simulation durch hohe Sicherheitsanforderungen unerlässlich

Mit virtueller Energiebordnetz-Entwicklung im Zeitalter der Digitalisierung beschäftigten sich Dr. Christoph Weißinger und Stefan Schwimmbeck (beide BMW Group) im zweiten Keynote-Vortrag. Sie präsentierten eine neue, virtuelle Entwicklungsmethode, die notwendig sei, um die Herausforderungen einer großen Nachfrage nach elektrifizierten Fahrzeugen mit großer Vielfalt beim Antriebsstrang bewältigen zu können. Aktuell seien sechs zentrale Disziplinen für die virtuelle Energie-Bordnetzentwicklung und eine optimierte Auslegung zu erkennen: Energiebereitstellung, Robustheit des physischen Bordnetzes mit thermischer Auslegung, Funktionsentwicklung, Fehlersimulation, Bordnetzstabilität und die Auswirkungen auf das Gesamtfahrzeug.

Die Vielfalt an Bordnetzen und die gestiegene Komplexität seien nur durch eine simulationsgestützte Energiebordnetzauslegung und über einen virtuellen Entwicklungsprozess möglich. Auch sei eine dynamische Energiebordnetzsimulation für den Sicherheitsnachweis unentbehrlich. So könnten technische Sicherheitsanforderungen verifiziert und im Prozess immer wieder überprüft werden. Um Zuverlässigkeits-Aussagen machen zu können, sei es zusätzlich wichtig, den Bordnetzzustand - unter Berücksichtigung von Betriebs- und Alterungszuständen von Millisekunden bis hin zu Jahren - in der Simulation zu beschreiben.

„Die dynamische Bordnetzsimulation wird sich in Zukunft etablieren“, sind die Referenten überzeugt. Natürlich sei eine stetige Weiterentwicklung nötig. Es sei viel Potenzial vorhanden, aber auch viel Entwicklungsaufwand nötig. Dies biete auch Studierenden Chancen, die Hardware eines Fehler-Emaluators von Hochleistungskurzschlüssen für die Modellvalidierung habe man beispielsweise in einer Abschlussarbeit entwickelt. Dass gerade die Studierenden des Master Bordnetzentwicklung hier beste Voraussetzungen mitbrächten, betonten Prof. Dr. Rausch und Prof. Dr. Roderer, die beide im Studiengang lehren und die die Keynotes moderierten. In vielen weiteren Vorträgen hatten die Teilnehmer die Gelegenheit, sich eine breite Bandbreite an Themen rund um die Bordnetze zu informieren. Aktuelle Informationen zum Bordnetzkongress immer unter: www.bordnetz-kongress.de.

(pp)