Von der nationalen zur europäischen Sicherheitspolitik

Das brisante Thema Sicherheitspolitik und Friedenssicherung im 21. Jahrhundert griff der aktuelle Wissenswerk Landshut-Vortrag auf.

Die mehr als 150 interessierten Gäste verdeutlichten die Aktualität des Themas Friedenspolitik. In seinem Vortrag stand PD Dr. habil Markus Kaim Analogien zum Kriegsausbruch 1914 skeptisch gegenüber und sprach sich für ein verstärktes Engagement Deutschlands in europäischen sicherheitspolitischen Fragen aus. Eine Rolle als globale Ordnungsmacht lehnt er ab. Der in den Medien gefragte, renommierte Experte leitet die Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP - Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit in Berlin, das in Fragen der Sicherheitspolitik und Friedenssicherung sowohl Bundestag und - regierung als auch die Wirtschaft berät.

In seiner Begrüßung betonte Hochschulpräsident Prof. Dr. Stoffel die Bedeutung der Vortragsreihe Wissenswerk Landshut, in der sich renommierte Experten aus unterschiedlichen Perspektiven mit dem Rahmenthema "Wissen über das Wissen" befassen. Sie sei eine der Keimzellen für die heutige interdisziplinäre Ausrichtung der Hochschule Landshut gewesen. Er bedankt sich bei den Kooperationspartnern des Wissenswerks, der Hochschulgemeinde und dem BMW Werk Landshut, die seit 12 Jahren die Veranstaltungsreihe zusammen mit der Hochschule initiieren. Und besonders das Thema, „Hundert Jahre nach 1914: Sicherheitspolitik und Friedenssicherung im 21. Jahrhundert“, habe vor dem Hintergrund der aktuellen Krisenherde eine hohe Brisanz.

Veränderte internationale Rahmenbedingungen

Der hundertste Jahrestag des Beginns des ersten Weltkriegs verleite dazu, Analogien zur akutellen Sicherheitslage, Lehren aus dem ersten Weltkrieg für das weltpolitische Geschehen von heute zu ziehen. Analogien seien pragmatisch, doch würden dabei häufig strukturelle Veränderungen im internationalen System ausgeblendet, wie Dr. Kaim in seinem Vortrag erklärte. Eine prominente These vergleiche z.B. den Aufstieg des heutigen Chinas mit dem des Deutschen Reichs damals und folgert, dass, wie die europäischen Großmächte zu Beginn des 20. Jahrhunderts, nunmehr die Staaten Südostasiens in einen militärischen Konflikt taumeln könnten, der im besten Falle regional begrenzt bliebe, dem aber durchaus das Potential zum Weltkrieg innewohne. Für Dr. Kaim spricht die heutige globale wirtschaftliche Verflechtung dagegen. 

Grundsätzlich sieht er vier veränderte internationale Rahmenbedingungen, die gegen Analogien zu 1914 sprächen. Nuklearwaffen würden das Überschreiten einer bestimmten Eskalationsstufe verhindern, dies nach dem Motto: „Wer zuerst schlägt, stirbt als Zweiter“. Auch die Rolle von militärischen Allianzen habe sich verändert: diese seien heute nicht mehr Treiber sondern hauptsächlich Moderatoren von Konflikten, die um Deeskalation bemüht seien. Eine wichtige Veränderung sei auch der Völkerbund „als Kind des 1. Weltkrieges, der der erste Versuch war, Gewalt zu monopolisieren, von Regierungen an eine übergreifende Institution zu übertragen“, wie Dr. Kaim erläutert. Die Vereinten Nationen mit ihrer universellen Norm des generellen Gewaltverbots und dem Ziel, durch ihre Instrumente Frieden zu erhalten bzw. wieder herzustellen, sei zu einem Eckpfeiler der internationalen Politik geworden. Krisen wie in der Ukraine oder Syrien würden zwar Defizite der UN aufzeigen, doch gäbe es keine Alternative. Eine Rückverlagerung auf die Nationen würde einen Rückschritt zu den Verhältnissen von 1914 bedeuten. Schließlich hätten die heutigen wirtschaftlichen Interdependenzen, die eng verflochtenen Produktionsketten zu einer deeskalierenden Grundhaltung, auch wenn diese einen Konflikt in China wohl nicht verhindern könnten.

Vom nationalen zu multilateralem Handeln

Diese Veränderungen hätten zu grundlegenden strukturellen Veränderungen auch für die deutsche Sicherheitspolitik und besonders in Europa geführt. Eine rein nationale Steuerfähigkeit sein nicht mehr gegeben. Insgesamt seien Umfang und Qualität der Außenpolitik so komplex, dass sie Einzelstaaten, auch Staaten wie die USA oder China, überfordere, dies besonders bei globalen Herausforderungen. Deutschland sei nach 1945 multinationales Handeln in der Sicherheitspolitik gewohnt. „Multilaterales Handeln ist für deutsche Sicherheitspolitik ein Muss“, ist Kaim überzeugt. Um die Handlungsfähigkeit zu behalten, werde es ein Mehr an europäischer Sicherheitspolitik mit einer noch stärkeren internationalen Integration der Streitkräfte geben.  

Gerade in Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise stelle sich aber die Frage nach der Einsatzbereitschaft von gemeinsamen militärischen Einheiten. Zusätzlich ziehe sich die USA als traditionelle Ordnungsmacht aus dem Gestalten internationaler Politik immer mehr zurück, das Engagement werde selektiver, die Ressourcen begrenzter. Dies gerade in einer Situation von großem globalem Ordnungsbedarf. „Wer wird das strategische Vakuum füllen? Europa zeigt keine Ambitionen, es wäre aber hilfreich, wenn es sich zumindest in Europa selbst als eine solche Ordnungsmacht begreifen würde,“ so Dr. Kaim. Auch Staaten wie z.B. Großbritannien oder Frankreich befänden sich in einer Phase relativer Schwäche, dies sowohl finanziell als auch politisch. Dabei sei die Selbstverständlichkeit von bestimmten Partnerschaften nicht mehr gegeben. Gerade der Fall IS, der sich nicht in bisherige Kategorien einstufen lasse, zeige, dass je nach Politikfeld andere Partner gesucht werden müssten.

Stärkere Rolle Deutschlands in europäischer Sicherheitspolitik

Die Erwartungen an die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik seien gestiegen, die auch von deutschen Politikern angemahnte größere Rolle Deutschlands in der internationalen Sicherheitspolitik habe zu viel Kritik geführt. Für Kaim ist es der falsche Weg, Fragen der Verantwortung über die in den Staaten vorhandenen Ressourcen zu definieren. Wichtig sei die Frage nach der Reichweite des außenpolitischen Handelns. Dabei sieht er Deutschland nicht in der Rolle als globale Ordnungsmacht, er spricht sich für ein Engagement in Europa und auch angrenzenden Gebieten aus. Ein gemeinsames europäisches sicherheitspolitisches Handeln, das allerdings einen Widerspruch zum parlamentarischen Vorbehalt für Militäreinsätze darstellen könne, sei dringend nötig. Dies auch im Fall der Ukraine. Ein wirtschaftlicher Zusammenbruch des Landes an der Grenze zur EU könne zu unabwägbaren volkswirtschaftlichen Folgen und zum ungebremsten Flüchtlingsstrom führen. Die Wirtschaftssanktionen würden Wirkung zeigen, ein Kollaps des Landes müsse jedoch verhindert werden. Als Motiv hinter dem Krisenherd vermutet er hegemoniale Machtbestrebungen Russlands und den Wunsch nach einer Pufferzone zum europäischen Einflussgebiet.

Dr. Kaim stellt die grundsätzliche Frage, wann ein Konflikt, bei dem der Bündnisfall eintritt tatsächlich zum militärischen Eingreifen führt. Auch wenn es juristisch eigentlich klar geregelt sei, kann er sich nicht vorstellen, dass ein Scharmützel an der Estländisch-Russischen Grenze zum militärischen Eingreifen Deutschlands führen würde. Wichtiger als die militärische Präsenz in Krisengebieten, die oft nur wenig zur Ordnung der Verhältnisse beitrage, sei Engagement und Initiativen in sicherheitspolitischen Fragen zu zeigen, sich zu fragen, was man anzubieten habe, um Krisen einzudämmen. Und dies in internationaler Zusammenarbeit. Dabei stellt er der aktuellen deutschen Außenpolitik ein positives Zeugnis aus, das Engagement z.B. in der Ukraine erfolge stets zusammen und in Abstimmung mit anderen Ländern.