Auftakt ortswechsel – hitzige Debatte um Kitas und Betreuungsgeld

Mit der neuen Veranstaltungsreihe "ortswechsel" wollen Hochschule, Stadt und Landkreis Landshut zu kontroversen Diskussionen zwischen Wissenschaft, Politik und Praxis" anregen. Und beim Auftakt zum Thema Kinderbetreuung wurde dieses Ziel erreicht. Ein hochkarätig besetztes Podium zeigte die unterschiedlichen Meinungen zur Zahl der benötigten Kinderkrippenplätze über das Betreuungsgeld bis hin zum Familienleitbild des Ein- oder Zweipersonenverdiener- Haushalts. Die teilweise hitzig geführte Debatte zeigte die Brisanz des Themas.

Die starken Veränderungen in Gesellschaft und Ökonomie wirken sich auf Familie, Arbeitswelt, Wirtschaft und Kultur aus. Verändern sich dadurch auch Vorstellungen und Leitbilder von Weiblichkeit und Männlichkeit in Familie, Arbeitswelt, Wirtschaft und Kultur? Diese Fragen werden in der Veranstaltungsreihe "ortswechsel",  einer Kooperation von Hochschule, Stadt und Landkreis Landshut,  näher beleuchtet und diskutiert.  Bereits in den letzten Jahren seien an der Hochschule Landshut in den „gender lectures“  der Blick darauf gelenkt werden, welche Bedeutung Veränderungen für den Alltag von Frauen und Männern, auf Vorstellungen und Leitbilder von Weiblichkeit und Männlichkeit haben, wie Hochschulpräsident Prof. Dr. Karl Stoffel in seiner Begrüßung erläuterte. Die Hochschule Landshut begreife sich als Hochschule in der Region und für die Region, der „Ortswechsel“ in die Stadt sei ein Beleg hierfür. Sozialer Wandel, und Soziale Gerechtigkeit seien Schwerpunktthemen an der Hochschule Landshut und ihrer Fakultät Soziale Arbeit, die gerade beim kontroversen Thema der Kinderbetreuung ihre Expertise einbringen könne.

Die Familienpolitik in Deutschland bewege sich zwischen den Leitbildern Hausfrauenehe oder Zwei-Verdiener-Familie. Welches in Zukunft prägend sein wird, daran hängen kontroverse frauen- sozial- und familienpolitische Themen, wie Mitinitiatorin und Moderatorin Prof. Dr. Barbara Thiessen (Hochschule Landshut) bei ihrer Themeneinführung erklärte. Selten habe es zur Familienpolitik so starke Debatten gegeben, wie seit dem Beschluss, die Kindertagesstätten auszubauen vor 6 Jahren, Ab August 2013 besteht ein Rechtsanspruch für Kita-Plätze, mit dem mit dem Näherrücken dieses Termins und der Einführung des Betreuungsgeldes habe die kontroverse Diskussion noch einmal zugenommen.

Bayern liegt vorne – aber reicht das?

Bei Diskussionen zu diesem  Themenbereich mangle es häufig an Informationen, Wissen über Zahlen und Fakten fehlen,  wie MDirigin. Johanna Huber (Leiterin der Abteilung Familie und Jugend, Bildung und Erziehung im Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen) erklärte. Die Frauenerwerbstätigkeit liege in Bayern bei 70,4 Prozent, die der Mütter bei 72,9 Prozent, hier seien vorrangig junge Frauen erfasst. Damit liege man hinter Schweden und Dänemark an Platz drei. Und Bayern sei beim Ausbau der Kinderkrippen  deutschlandweit führend: Für die Kinderbetreuung in Kitas sei vom DJI ein Bedarf von 39% errechnet worden,  „Bayern hat beste Chancen es zu schaffen“, ist Huber überzeugt, auch wenn es in großen Metropolen wie München oder Nürnberg schwierig werden könnte.

Kinder bräuchten besonders in den ersten drei Lebensjahren eine intensive Betreuung. Dabei sei es die im Grundgesetz verankerte Pflicht des Staates die Kinderbetreuung in der von den Eltern gewählten Form zu unterstützen. Es müssten also die Kinderbetreuung sowohl in Krippen als auch zu Hause in der Familie gefördert werden.  „Das Betreuungsgeld ist keine Rolle rückwärts, keine Herdprämie, sondern die 2. Seite einer Medaille“, ist sie überzeugt. Das Betreuungsgeld begrüßen laut einer Studie 71 Prozent der Eltern, so Huber. Mit Begriffen wie der Herdprämie sei eine Diskriminierung gegenüber den Eltern passiert, die  ihre Kinder in den ersten 3 Jahren zu Hause erziehen wollen und dies auch können.

Sowohl die Umsetzung einer ausreichenden Zahl an Krippenplätzen als auch die Einführung des Betreuungsgeldes sahen die anderen Diskussionspartner kritischer. Norberd Hocke (GEW Berlin) bezweifelt, dass in den einzelnen Kommunen genügend Kitaplätze bis 2013 zur Verfügung gestellt werden können. So hätten in Frankreich beispielsweise 80 Prozent eine Krippenplatzmöglichkeit. Der Rechtsanspruch sei nicht mit 39 Prozent erfüllt, sondern dann, wenn alle, die einen solchen Platz wollen, auch einen bekommen. Zusätzlich fordert er eine qualitative Verbesserung der Betreuung Kinder würden künftig bis zu fünf Jahre institutionell betreut, das sei länger als die Grundschule dauert.  Zur echten Wahlfreiheit gehöre mehr als Betreuungsgeld und Kita, es müssten  Stadt-, Regional- und Raumplanung etc. integriert werden. Das Betreuungsverhältnis in den Kitas müsse verbessert und vor allem mehr Geld an die Mitarbeiter/innen gezahlt werden, um diesem wichtigen Erziehungsbereich Rechnung zu tragen und den Fachkräftemangel bekämpfen zu können.

Dr. Sabina Schutter (Deutsches Jugendinstitut München)  weist darauf hin, dass Kinder ebenso ungleich seien sie die familiären Bedingungen, die Einkommen, und Lebenspläne der Eltern. Um die eigenständige Entwicklung der Kinder fördern zu können, müssten Nachteile ausgeglichen werden.  Für die Entwicklung von Sprachkompetenzen bei Kindern mit Migrationshintergrund sei die Kinderbetreuung ein ganz wesentlicher Faktor. Das Betreuungsgeld, bei dem alle gleich viel bekommen, sei hier kein geeignetes Mittel. Sie sieht auch das Risiko, dass das Betreuungsgeld Frauen animiere, aus dem Beruf auszusteigen, es zementiere das traditionelle Rollenbild des männlichen Hauptverdieners. In der Realität trügen Frauen tragen alleine das finanzielle Risiko bei der Kindererziehung. Viele Ehen würden geschieden, der Ausfall von Rentenzeiten mache sich in der Altersarmut bemerkbar.

Ein positives Beispiel zeigt für die gelungene Familienpolitik einer Kommune zeigt Dr. Hiltrud Höreth, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Aschaffenburg. Von den 75.000 Einwohnern der Stadt hätten 16.000 einen Migrationshintergrund. Man habe sich Früh um die Belange der Familie gekümmert, versucht, Eltern und Kinder, auch mit Sprachbarrieren, abzuholen. Und diese Politik zahle sich aus, durch den Zuzug von vielen jungen Familien habe man gegen den Trend einen Bevölkerungszuwachs zu verzeichnen. Auch berichtet sie aus dem Bereich der Stadtverwaltung positive Zahlen:  97 Prozent der Väter nähmen mittlerweile ihre Elternzeit, wenn das Einkommen stimme. Bei Gleichverdienern werde diese Familienzeit häufig aufgeteilt. Dabei müsste aber auch die Einstellung der Arbeitgeber passen, ohne die es keine familienfreundliche  Beschäftigungspolitik gäbe.

Ortwechsel – nächstes Thema Energiewandel

Veranstaltet wird die Reihe "ortswechsel" von den Frauenbeauftragten der Hochschule Landshut, Vizepräsidentin Prof. Dr. Gudrun Schiedermeier, und der Fakultät Soziale Arbeit, Prof. Dr. Barbara Thiessen, sowie den Gleichstellungsbeauftragten der Stadt, Margarete Paintner, und des Landkreises, Karin Boerboom. Sie laden alle Interessierten zu drei Abenden mit wissenschaftlich fundierten Impulsen und fachlich-engagierten Diskussionen ein. Einem Zusammentreffen von Erkenntnissen aus der Wissenschaft, Perspektiven aus Politik und Wirtschaft sowie Erfahrungen aus der Praxis.

Die nächste ortswechsel-Veranstaltung findet am 13. Dezember 2012, 19.00 Uhr, im Salzstadel statt, das Thema lautet „Energiewandel und Bürgerbeteiligung - Frauen mitgemeint?“ Teilnehmen wird daran u.a. die Grünenpolitikerin Christine Scheel, 1994 bis 2012 Mitglied des Deutschen Bundestages.