Von der spurtreuen Beschleunigung zur verantwortungsvollen Zukunftsgestaltung

Veranstaltung an der Hochschule Landshut befasst sich kritisch mit immer schnelleren Innovationszyklen

Die jüngste Veranstaltung der Veranstaltungsreihe Technologie- und Innovationsmanagement der Hochschule Landshut stellte die Frage „Wie können wir unsere Zukunft verantwortlich gestalten?“. Am 19. März hinterfragte vor über 80 interessierten Gästen der Theologe und Wirtschaftsethiker Dr. Alfons Hämmerl (Hochschulgemeinde der Hochschule Landshut) die immer kürzer werdenden Innovationszyklen, die der Gesellschaft und dem Menschen nicht die erhoffte Erfüllung brächten. Im zweiten Vortrag des Abends plädierte die Foresight-Expertin Beate Schulz-Montag (Geschäftsführerin der Initiative D2030) für einen intensiven Diskurs über die Zukunft und zeigte verschiedene Zukunftsszenarien auf. 

Die verantwortungsvolle Gestaltung der Zukunft sei ein Megathema, dies gerade vor den Hintergrund des schnellen Wandels in Themen wie Mobilität oder auch Digitalisierung, betonte Hochschulpräsident Prof. Dr. Stoffel in seiner Begrüßung. In einer Gesellschaft, die geprägt sei durch Fortschritt, ein hohes Wohlstandsniveau, Freiheit und Demokratie, fühle man sich eigentlich gut für die Zukunft gewappnet, erklärte Prof. Dr. Markus Schmitt in seiner Einführung. Doch man stoße an Grenzen, dies nicht nur ökologisch, Menschen fühlen sich durch das hohe Tempo, das enorme Anpassungsfähigkeit verlange, oft überfordert und hätten Schwierigkeiten, ihre Perspektive zu finden. Technik und Wirtschaftswissenschaft gäben hier nur unzufriedenstellende Antworten. Deshalb würde in der aktuellen Veranstaltung die Frage nach einer verantwortungsvoll gestalteten Zukunft aus der Perspektive anderer Wissenschaftsbereiche, der Philosophie, der Soziologie und Ethik sowie der Zukunftsforschung gestellt.

Innovation gleichbedeutend mit Beschleunigung

Dr. Hämmerl betonte in seinem Vortrag „Innovation und soziale Beschleunigung – eine Sinnsuche“, Innovationen seien Dreh- und Angelpunkt heutiger Ökonomie, dies nach dem Credo Stillstand bedeute Rückschritt. Innovation bedeute immer Vorsprung, den Willen der Erste sein zu müssen und damit ständige Beschleunigung. Mit dem Phänomen der Beschleunigung habe sich der Soziologe Prof. Dr. Hartmut Rosa intensiv befasst, auf dessen Erkenntnisse er seinen Vortrag aufbaute.

Beschleunigung mache sich in verschiedenen Bereichen bemerkbar: Die Geschwindigkeit von Mobilität, Transport, Kommunikation etc., also in der Technik, habe sich ebenso erhöht, wie im sozialen Wandel. Erfahrungen und Erwartungen, aber auch Werte, seien immer weniger lang gültig. Hätten früher soziale Strukturen über Generationen hinweg Gültigkeit besessen, ändern sie sich heute „intragenerational“. Eine Studie in den USA habe 1999 gezeigt, dass die berufliche Neuorientierung innerhalb einer Generation elfmal erfolge. Das insgesamt erhöhte Lebenstempo mache Zeit zu einer knappen Ressource: Die menschliche Schlafdauer habe sich seit dem Jahr 1900 um 2 Stunden verkürzt.

Motoren dieser Beschleunigung seien einmal die sozialen Verhältnisse. Sei man früher als König oder Bauer geboren worden, könne man heute etwas aus seinem Leben machen, dies bedeute aber auch ständigen Wettbewerb. Die kulturelle bzw. religiöse Lebenswelt habe sich ebenfalls verändert: Während früher das Leben nach dem Tod als Erfüllung galt, werde heute der Sinn in einem guten, erfüllten Leben gesucht. Ein Dilemma entstehe dadurch, dass die Welt immer mehr zu bieten habe, das Menschenleben aber zu kurz sei, auch nur Ansatzweise alles Gewünschte auszuprobieren. Der intrinsische Motor zwänge schließlich dazu, Stillstehen zu vermeiden, da das einen Rückfall bedeute. Weil sich die Geschwindigkeit des Wandels ständig beschleunige, entstehe ein sich selbst antreibendes System, ein Beschleunigungszirkel, der sich aber zumeist auf Oberflächliches beziehe, nichts fundamentales Neues biete und eigentlich ein rasender Stillstand sei.

Von der Entfremdung zum inneren Fortschritt

Das eigentliche Versprechen der Moderne und der Beschleunigung sei die Autonomie des Menschen gewesen, hin zu einem selbstbestimmten Leben, ohne Armut etc. fürchten zu müssen. In der Spätmoderne habe sich das Verhältnis verändert, die Lebensträume werden verwendet, um die Beschleunigungsmaschine am Laufen zu halten. Eine Kapitalismuskritik laute, dass sie vergesse, die Gesellschaft jenseits der ökonomischen Rahmenbedingungen zu gestalten. Fremdbestimmung, Entfremdung entstehe, Ziele würden verfolgt, die man eigentlich nicht wolle. Die herrschenden Verhältnisse brächten einen dazu, das freiwillig zu tun, was man gar nicht will, ohne es zu merken. Es entstehe Entfremdung vom Raum, der Zeit, von Dingen – die in immer schnelleren Intervallen getauscht werden – gegenüber den eigenen Handlungen, der Zeit und insgesamt von sich selbst.

Auf der Suche nach einer Postwachstumsgesellschaft müsse man sich den eigenen Dingen, dem Leben und der Zeit wieder vertraut machen und damit etwas in Schwingung versetzen, wie Hämmerl betont. Der Beschleunigung mit „Resonanz“ zu begegnen, könne die Antwort sein, wie Prof. Dr. Rosa es formuliert habe. Es reiche nicht, die Innovationskraft nur nach außen zu richten, das Prinzip des Fortschritts müsse auch auf sich selbst angewandt werden. 

Zukunft für Deutschland gestalten

Sich vom aktuellen „weiter so“ wegzubewegen und statt dessen eine gesamtgesellschaftlichen Zukunftsdebatte zu führen, forderte auch Beate Schulz-Montag in ihrem Vortrag. „D2030 – Eine Landkarte für die Zukunft“. Die Initiative D2030 analysierte in einem umfangreichen Projekt zahlreiche Zukunftsstudien zu  Einzelthemen und entwickelte sie zu Zukunftsszenarien weiter, um eine themenübergreifende Landkarte für langfristiges (politisches) Handeln zu entwickeln. „Es gab bisher keine vernetzte Sicht auf diese Themen“, wie Schulz-Montag betonte.

Den Ausgangspunkt für das Projekt bildeten die vielen aktuellen Herausforderungen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen, wie Politik, Wirtschaft, Nachhaltigkeit etc. Dabei kritisierte Schulz-Montag die „Zukunftsblindheit“ von Politik und Wirtschaft in zahlreichen Fragen. Als Beispiele hierfür nannte sie den Dieselskandal, die Plattformökonomie, durch die deutsche Unternehmen ins Abseits zu geraten drohen, oder auch die Zukunft der Arbeit, die sehr viele Arbeitsplätze bedrohe.

Aus 33 Schlüsselfaktoren, quer durch alle Themen der Gesellschaft, wurden schließlich 4 Grundszenarien und 8 Subszenarien für Deutschland entwickelt. Diese positionieren sich entlang der beiden Achsen „Offenheit“ – von global und offen bis regional und eigegrenzt – und „Gemeinschaftlichkeit“ – von nachhaltig und wir-orientiert bis zu materialistisch und ich-orientiert. Per online-Befragung wurden diese Szenarien schließlich bewertet, Schulz-Montag stellte Ergebnisse vor.

Von spurtreuer Beschleunigung zu neuen Horizonten

Die Gegenwart beschreibe am besten das Grundszenario „Spurtreue Beschleunigung“. Wohlstand aber auch unaufhaltsamer Abstieg seien hier mögliche Entwicklungen, ebenso unternehmerischer Erfolg bei gespaltener Gesellschaft. Dieses letzte Subszenario erhalte den höchsten Erwartungswert bei der Befragung, d.h. es wird als wahrscheinlichstes Zukunftsszenario gesehen. Den größten Unterschied zu heute weist das Szenario „bewusste Abkopplung“ auf, das ein nachhaltiges und wir-orientiertes aber abgekoppeltes Deutschland zeigt. Das Grundszenario „Neue Horizonte“, definiert durch die Werte global, offen, nachhaltig und wir-orientiert, wird als am meisten wünschenswert betrachtet. Das Szenario „Alte Grenzen“, das für ein regional eingegrenztes, materialistisch und ich-bezogenes Deutschland steht, wird dagegen abgelehnt.

Die Ergebnisse bedeuten keinen Masterplan, zeigen aber gewünschte Entwicklungen und werfen Fragen auf. „Wir wollen den Raum möglicher Entwicklungen ausloten, um besser auf die Zukunft vorbereitet zu sein“, wie Schulz-Montag betonte. Sie rief alle Interessierten auf, sich an der Diskussion um die Zukunft Deutschlands zu beteiligen, um einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs führen zu können, der Entwicklungen anstoße, die über das bisherige „weiter so“ hinausreichen.