Recht auf Privatheit bedeutet Selbstbestimmung über Daten

Privatheit in der digitalen Gesellschaft als Thema in der jüngsten Veranstaltung des Wissenswerk Landshut

Mit dem Thema „Privatheit“ im heutigen digitalen Zeitalter befasste sich der jüngste Vortrag im Rahmen der Reihe Wissenswerk Landshut an der Hochschule Landshut. Dabei hinterfragte die Literaturwissenschaftlerin Prof. Dr. Claudia Stockinger (Uni Göttingen) in ihrem Vortrag mit dem Titel „The Right to Privacy?“ den Umgang mit persönlichen Daten im Internet ebenso wie den aktuellen Begriff von Privatheit anhand von Literaturbeispielen. Dies speziell am Beispiel von Dave Eggers Roman „The Circle“.

Hochschulpräsident Prof. Dr. Karl Stoffel betonte in seiner Begrüßung der rund 200 Teilnehmer am 30. November 2015 die Bedeutung des Themas Digitalisierung im heutigen Zeitalter und damit auch für die Hochschule Landshut. Dabei habe bereits das von der Hochschulgemeinde und der Fakultät Informatik vor zwei Wochen veranstaltete Live-Hacking-Event zur Sensibilisierung gegenüber dem Thema Internet und Datensicherheit beigetragen. Er bedankt sich bei der Hochschulgemeinde mit Seelsorger Dr. Alfons Hämmerl, der zusammen mit dem BMW Werk Landshut zum Gelingen der interdisziplinären Reihe Wissenswerk Landshut an der Hochschule beitrage, die mit dieser Veranstaltung wieder ein hochaktuelles Thema aufgreife.

Transparenz zwischen Schutzraum und Kontrolle

„Das Thema geht uns alle an“, verdeutlichte Stockinger die Bedeutung der Debatte um die Privatheit, denn die Digitalisierung habe tatsächlich Einfluss auf die Gestaltung des Alltages, der Sozialen Kontakte, der Freizeit und der Arbeit – kurz auf das gesamte Leben. In ihrem Vortrag betrachtet Prof. Dr. Stockinger die Kommunikation in den digitalen Kanälen kritisch, da hier eine völlig neue Art der Kontrolle möglich sei, die weit über das von George Orwell in seinem Roman 1984 gezeichnete Szenario hinausreiche. Andererseits bedeute diese Transparenz aber auch einen öffentlichen Raum, der einen Schutz gegenüber dem Staat darstelle. Sie spricht sich für einen Mittelweg aus, „neue Medien verschieben Privatheit, verabschieden diese aber nicht“, wie sie erklärt. Grundlegend sei allerdings, dass man selbst die Freiheit habe, zu entscheiden, was man preisgeben wolle und was nicht. Dies müsse allerdings auch die Möglichkeit bieten, Inhalte bzw. Daten wieder löschen zu können.

Prof. Dr. Stockinger spricht sie sich für einen bewussten und verantwortungsvollen Umgang mit den eigenen Daten im Netz und damit der Privatheit aus. Wie gedankenlos aber Privatheit in Zeiten von Facebook etc. oft aufgegeben wird, zeigte sie am Beispiel einer Talkshow, in der im Publikum sitzende Gäste mit von ihnen in Facebook veröffentlichten „peinlichen“ Fotos konfrontiert wurden. Andererseits nutzen Unternehmen ausgiebig die Möglichkeit, vielfältige private Daten u.a. auch über das Nutzungsverhalten zu sammeln und auszuwerten. Dies reiche bis zum Versuch, den Menstruationszustand von Frauen danach zu bestimmen, was sie im Netz anklicken. Hier sei es kaum möglich, sich seine Privatheit zu bewahren.

Privatheit im Wandel

Bei der Diskussion des Themas stelle sich aber auch die Frage nach der Definition von Privatheit, wie sie entstehe und wie sie sich verändere. Das heutige Bild der Privatheit sei eine Erfindung des Bürgertums des 19. Jahrhunderts. Bereits 1890 sei in England ein „Right of privacy“, ein Recht alleine zu sein, gefordert worden. Dabei sei in dieser Zeit die Privatsphäre, die heute als intim oder privat gelte, bei den auf engstem Raum lebenden Arbeiterfamilien nicht möglich gewesen, bzw. diese dadurch anders definiert gewesen. Während sich das soziale Miteinander hier häufig in einem Raum abspielte, habe es beispielsweise als Einblick in die Intimsphäre gegolten, zu einer Einladung des Vorgesetzten seine Frau mitzubringen. Heute gewähre man dagegen über das Netz Einblicke in intime Bereiche des persönlichen Lebens. Dagegen gelte die Handschrift beispielsweise als privat, während diese früher normales Kommunikationsmittel gewesen sei. Der Begriff der Privatheit verändert sich, hänge aber auch eng mit der Mediengeschichte zusammen.

Bestimmend für den Umgang mit privaten Informationen im Netz seien sog. "Privatheitspardoxien". Man habe zwar Angst vor Überwachung, bewege sich aber unbesorgt im Netz und stelle selbst private Daten online oder suche gar per google-Maps den Weg zur Demo gegen Datenspeicherung. Man ließe sich zwar entblößt im Internet anschauen, wolle aber aus Scham nicht, dass Klassenkameraden zu Besuch kommen. Auch stellt sie die Fragen nach der Authentizität des Bildes, das man beispielsweise in Facebook von Personen erhalte. Man könne Tratsch bzw. Gossip nicht von Fakten unterscheiden, dessen Zirkulation werde durch das Netz optimiert.

Gute Absichten führen zur totalen Kontrolle

Prof. Dr. Stockinger sieht die Aufgabe der Literatur unter anderm in der Gesellschaftskritik und in der Anregung des Diskurses. Der Roman „The Circle“ sei für das Thema Privatheit von besonderem Interesse, da sich der Thesenroman mit der zunehmenden Datenflut und der damit möglichen Überwachung der Menschen befasse. Im Buch arbeitet die Protagonistin Mae Holland im IT-Unternehmen „The Circle“. Dieses bietet IT-Produkte an, die das Leben leichter machen und verbessern. Damit schafft der Konzern aber gleichzeitig die technischen Möglichkeiten für die völlige Überwachung des Menschen. Die Individuen nutzen die Angebote freiwillig, liefern dabei aber immer mehr persönliche Daten, von medizinischen Werten bis hin zu rund um die Uhr ins Netz übertragene Live-Videos und zur vollständigen Überwachung. Um etwas zu tun, was nur sie weiß, unternimmt Mae etwas Verbotenes, eine geheime Bootsfahrt. Doch prompt wird auch diese Aktion aufgezeichnet und im Netz veröffentlicht. Daraufhin muss sie sich verpflichten, tatsächlich alles zu veröffentlichen und dies wird zur Normalität.

Einzig die Gedanken bleiben trotz aller Transparenz immer noch frei. Wegen der ständigen Überwachung legt man sich eine äußerliche Maske zu, die keinen Blick ins Innere gewährt. Der Roman lehnt sich an die aktuellen Möglichkeiten im Rahmen von Web 2.0 an und zeige Ähnlichkeiten mit Google bzw. dem jetzt Alphabet genannten Konzern. Wo Daten gesammelt werden, gäbe es immer jemanden, der daraus eine gewinnbringende Geschäftsidee machen wolle.

Dabei könne Transparenz auch als gesellschaftlicher Religionsersatz gesehen werden. Galt das Spiegelbild in der Bibel als Möglichkeit, sich über eigene negativen Eigenschaften klar zu werden, sei er im digitalen Zeitalter eine Metapher für den Idealzustand, eine Vergöttlichung des vernetzten Menschen. Barg das Bild Gottes als obersten Überwacher früher für manchen Gläubigen Trost, gelte dieses Bild heute als Alptraum. Doch auch Gott habe den Menschen mit der Freiheit ausgestattet, sich gegen ihn zu entscheiden. Mit der Frage, ob und wieweit eine soche Entscheidung in der digitalen Kommunikation und des world wide webs noch möglich ist, gingen die interessierten Zuhörer in die lebhafte Diskussion nach der Veranstaltung.

Hinweis: Sonderveranstaltung BMW-Jubiläum

Wie Dr. Alfons Hämmerl bekannt gab, wird es in diesem Jahr eine Besonderheit beim Wissenswerk Landshut geben: Im Rahmen des 100-jährigen BMW-Jubiläums wird es am 25. Februar 2016 eine Sonderveranstaltung im BMW-Werk Landshut geben, die sich mit Führungsstrategien für innovative Unternehmen befassen wird. Aktuelle Informationen unter www.wissenswerk-landshut.de.