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Was motiviert Frauen für die Politik?

An der Hochschule Landshut forschen Prof. Dr. Barbara Thiessen und Mina Mittertrainer im Rahmen des Projekts FRIDA, warum Frauen in der Kommunalpolitik so selten vertreten sind und welche Maßnahmen dagegen wirken.

Das Thema Frauen in der Politik wird derzeit viel diskutiert – bezogen auf die Bewerbungen zum CDU-Vorsitz oder auf die bevorstehende Kommunalwahl. Gerade bei letzterer stellt sich die Frage, warum so wenige Frauen in der Kommunalpolitik aktiv sind. Weniger als zehn Prozent der Bürgermeisterposten in Bayern sind mit Frauen besetzt. Im Rahmen des Forschungsprojekts FRIDA (Demokratie – Partizipation – Vielfalt. Frauen in der Kommunalpolitik im ländlichen Raum), das vom Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst gefördert wird, widmen sich die Wissenschaftlerinnen Prof. Dr. Barbara Thiessen und Mina Mittertrainer an der Hochschule Landshut diesem Problem der geringen Repräsentation von Frauen in politischen Gremien und Ämtern auf kommunaler Ebene in Bayern. Nach knapp zwei Jahren Forschungsarbeit stellt Mina Mittertrainer ihre ersten Zwischenergebnisse vor.

Frau Mittertrainer, Frauen sind in der Kommunalpolitik nach wie vor unterrepräsentiert. Bayern gilt hierbei als bundesweites Schlusslicht. Warum wird Politik nach wie vor meistens von Männern gemacht?
Mittertrainer: Dafür gibt es viele verschiedene Gründe. Helga Lukoschat von der Europäischen Frauenakademie in Berlin hat dies in einer Befragung von über 1.000 Kommunalpolitikerinnen systematisiert und drei große Bereiche identifiziert, die Frauen an einer politischen Beteiligung hindern. Neben der Vereinbarkeit des politischen Engagements mit einem bezahlten Beruf und der Sorgearbeit, die noch immer zu einem großen Teil von Frauen erledigt wird, spielen vor allem auch kulturelle Geschlechterbilder und politische Strukturen eine Rolle: Wen sprechen politische Aktive an, wenn sie Listenplätze und Mandate zu vergeben haben? Wann finden Besprechungen statt? Wie ist der Umgangston in Verhandlungen? Wird man als Frau in den Sitzungen ernst genommen, oder muss man sich ständig neu beweisen? Diese drei genannten Gründe (Vereinbarkeit, geschlechtliche Rollenbilder und politische Strukturen) konnten wir auch durch unsere eigene Forschung und Befragung von Kommunalpolitikerinnen bestätigen. Und wir können eine weitere Dimension ergänzen: Gerade in der Kommunalpolitik auf dem Land spielen räumliche Faktoren eine große Rolle, wenn es um die politische Beteiligung von Frauen geht, da hier die engen sozialen Gefüge in einen anderen Fokus rücken müssen. Wenn man sich in einer kleinen Dorfgemeinschaft persönlich kennt, können auch politische Themen und Diskussionen auf die persönliche Ebene rücken, was das weitere Zusammenleben belasten kann. Dieses Risiko wollen viele Frauen nicht eingehen. Außerdem unterliegen Frauen in ländlichen Räumen deutlich rigideren Maßstäben, was Geschlechterleitbilder anbelangt. Auffällig ist auch, dass sich eher Frauen im Dorf engagieren, die zugezogen sind und sich ohnehin nicht dazugehörig empfinden.

Oft wird im Zuge dieser Diskussion behauptet, die meisten Frauen hätten gar kein Interesse
für ein Amt in der Kommunalpolitik. Ist an dieser Aussage Ihrer Meinung nach etwas dran?
Mittertrainer: Diese Vorstellung ist leider sehr weit verbreitet und findet sich in Teilen auch in der Selbstwahrnehmung (junger) Frauen wieder. Auch in unseren Gruppendiskussionen sagten einige der befragten jungen Frauen über sich selbst, einfach kein Interesse an Politik zu haben. Im Laufe der Gespräche wurde jedoch deutlich, dass mehr hinter dieser Politikdistanz steckt, als auf den ersten Blick sichtbar wird: Die fehlende Wertschätzung und Kritik von außen, das ständige Absprechen von politischer Kompetenz durch Andere, sowie die Angst, nicht genug über Politik zu wissen um sich zu beteiligen, wurden immer wieder thematisiert. Während das eigene politische Interesse und Wissen oft heruntergespielt wurden, hatten die Teilnehmerinnen viel Kenntnis und feste Meinungen zu Themen wie Umwelt, Bildung und der Integration von Geflüchteten. Generell lässt sich außerdem feststellen, dass Frauen sich auf zivilgesellschaftlicher Ebene fast ebenso stark engagieren wie Männer. Das alles lässt darauf schließen, dass junge Frauen der Politik vielleicht nicht –  wie sie selbst behaupten – aufgrund von fehlendem Interesse und Wissen fernbleiben, sondern vor allem wegen einer zu geringen Einschätzung ihrer eigenen Kompetenz und einem zu hohen Anspruch an sich selbst.

Neben den Ursachen für den geringen Anteil von Frauen erforschen Sie auch, welche konkreten Maßnahmen helfen, um junge Frauen für die Kommunalpolitik zu motivieren. Haben Sie dazu schon Ergebnisse?

Mittertrainer: Aus der bereits bestehenden Forschung wissen wir, dass über 80 Prozent der Kommunalpolitikerinnen sich bereits vor Aufnahme ihres politischen Amtes sozial, zivilgesellschaftlich oder politisch engagiert haben – dies scheint also ein niedrigschwelliger Weg zu sein, Frauen für ein politisches Engagement zu motivieren. Darauf basierend haben wir eine Maßnahme entwickelt, die wir momentan an vier Standorten in Bayern durchführen und evaluieren: Die Gleichstellungsbeauftragten der jeweiligen Landkreise haben sich je einen Beirat aus jungen Frauen berufen, die sie in ihrer Arbeit beraten und mit denen sie gemeinsam Projekte und Aktionen durchführen. Dadurch haben die jungen Frauen die Möglichkeit, eigene Ideen, Wünsche und Anregungen zu formulieren und sie gemeinsam zu diskutieren, während die Gleichstellungsbeauftragten einen Einblick bekommen, welche Themen die jungen Frauen in ihren Landkreisen momentan am meisten beschäftigen. Die daraus entstehenden Aktionen werden von den jungen Frauen selbst geplant und durchgeführt, während die Gleichstellungsbeauftragte mit ihrem Wissen um Strukturen und Abläufe unterstützen.

Hilft eine Frauenquote, den Anteil von Frauen in der Kommunalpolitik zu erhöhen?
Mittertrainer: In Frankreich wurde im Jahr 2000 eine Regelung eingeführt, nach der nur solche Parteien zu kommunalen und regionalen Wahlen zugelassen werden, auf deren Wahllisten alternierend Frauen und Männer aufgeführt werden – für Parlamentswahlen gibt es ein Bußgeld für nicht paritätisch besetzte Listen. Vor allem auf regionaler Ebene zeigte diese Regelung große Wirkung: So hat sich der Frauenanteil in der kommunalen Politik in den letzten 20 Jahren auf fast 50 Prozent verdoppelt. Die Quote ist also definitiv ein hilfreiches Mittel, um den Frauenanteil in der Politik zu erhöhen. Dennoch kann sie nicht als einzige Maßnahme gesehen werden, denn durch die Quote allein wird nicht festgelegt, welche Frauen in ein Amt gewählt werden:  Gerade junge Mütter, Frauen mit Migrationshintergrund oder ohne akademischen Hintergrund sind in der Politik nur selten vertreten und würden von einer Quote zunächst nicht profitieren. Daher ist eine Quote zwar ein guter Schritt, um den Frauenanteil in der Politik insgesamt zu erhöhen, sollte aber unbedingt mit anderen Maßnahmen ergänzt werden, um auch Frauen mit verschiedenen Lebensbedingungen den Zugang in die Politik zu erleichtern.

Das Forschungsprojekt FRIDA läuft noch bis 2022. Was sind ihre nächsten Arbeitsschritte bzw. wie geht es in Ihrer Arbeit weiter?
Mittertrainer: Neben den bereits erwähnten Bausteinen unseres Projekts, nämlich den Expertinneninterviews mit Kommunalpolitikerinnen, den Gruppendiskussionen mit jungen Frauen, sowie den Beiräten an kommunalen Gleichstellungsstellen, beschäftigt uns auch die Frage danach, wie politische Sitzungen gendersensibler und familienfreundlicher gestaltet werden können. Dies könnte eine weitere Möglichkeit sein, ein politisches Engagement für Frauen attraktiver zu machen. Dies gilt übrigens auch für Männer, denen das ‚Platzhirschgehabe‘ nicht gefällt. Außerdem wollen wir weitere Perspektiven auf das Thema sichtbar machen und unsere Ergebnisse einem breiteren Publikum zur Verfügung stellen. Dafür veranstalten wir am 20. Oktober 2020 an der Hochschule Landshut gemeinsam mit dem Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales eine Fachtagung, die sich in erster Linie an Fachkräfte aus Politik, Bildung, Jugendarbeit, Gleichstellung sowie Interessierte wendet mit dem Ziel, Impulse für eine geschlechtergerechtere Beteiligung in der (Kommunal-)Politik zu diskutieren und zu setzen.

Wie ist Ihre persönliche Einschätzung für die Zukunft? Wird der Anteil von Männern und Frauen in der Politik irgendwann ausgeglichen sein?
Mittertrainer: Ein Blick auf die Entwicklungen der letzten Jahre zeigt leider, dass sich der Anteil von Frauen momentan auf allen politischen Ebenen verringert: im Bundestag von 37 auf 31 Prozent und im bayerischen Landtag von 30 auf 27 Prozent.

Was ist Ihrer Meinung nach der Grund dafür?
Mittertrainer: Dieser Rückgang ist unter anderem auf das Erstarken der dezidiert anti-genderistischen Partei AfD zurückzuführen, die mit 11 Prozent weiblichen Bundestagsabgeordneten den geringsten Frauenanteil der dort vertretenen Parteien aufweist. Auch die zunehmend herabsetzenden Kommentare zu und Beleidigungen von vor allem weiblichen Politikerinnen im Internet, die sogenannte ‚hate speech‘, sollte in diesem Zusammenhang erwähnt werden. Laut einer Studie des report München waren 87 Prozent der befragten Parlamentarierinnen schon einmal Bedrohungen über das Internet ausgesetzt. Diese Entwicklungen schaffen eine Atmosphäre, die auf viele Frauen (und ebenso auf einige Männer) abschreckend wirkt, und das auch auf kommunaler Ebene. Ohne unterstützende Maßnahmen funktioniert es also nicht: Diese können sich auf die Einführung einer verbindlichen Quote beziehen, auf das Umsetzen von Umgangsregeln für Sitzungen, auf die gezielte Förderung von Frauen innerhalb der Parteien oder auf die Unterstützung von kandidierenden Frauen durch die Stimmen der Wählerinnen und Wähler aus der Bevölkerung.

Haben sie Hoffnung, dass sich damit in Zukunft etwas ändert?

Mittertrainer: Was Hoffnung macht, ist die steigende Bereitschaft vor allem junger Frauen, sich für bestimmte Themen einzusetzen, was beispielsweise an der Fridays for Future-Bewegung sehr deutlich wird. Die Selbstverständlichkeit, mit der junge Frauen an der Spitze dieser Bewegungen sichtbar sind und sich stark machen, könnte auch andere Frauen ermutigen, sich den politischen Gestaltungsraum zu nehmen, der ihnen zusteht. Diese Entwicklungen beobachten wir im Zuge des Projekts weiterhin.

Das Interview führte die Hochschule Landshut/Veronika Barnerßoi