Zum Hauptinhalt springen

Keine eindeutige Antwort auf die Frage "Wer ist das Volk?"

Wissenswerk-Vortrag zeigt Ambivalenz des Begriffs "Volk" zwischen Ethnos und Demos

Mit dem vielschichtigen Begriff "Volk" befasste sich Prof. Dr. Armin Nassehi (LMU München).
Mit dem vielschichtigen Begriff "Volk" befasste sich Prof. Dr. Armin Nassehi (LMU München).

In der jüngsten Veranstaltung der Reihe Wissenswerk Landshut stand der Begriff des Volkes im Mittelpunkt: „Wer ist das Volk?“ lautete der Titel des Vortrages und auch die Frage, die sich die mehr als 150 Teilnehmer der Veranstaltung am 7. Juni 2018 stellten. Dass sie allerdings keine eindeutige Antwort darauf erhalten würden, das erklärte der Soziologe Prof. Dr. Armin Nassehi (LMU München) bereits am Anfang seines Vortrags. Denn anders als andere Begriffe könne „Volk“ nicht abschließend definiert werden, es beinhalte verschiedene Facetten, und die Bedeutung ändere sich je nachdem, wie der Begriff gebraucht werde. Das Wissenswerk Landshut, eine Veranstaltungsreihe in Kooperation zwischen Hochschule, Hochschulgemeinde und BMW Werk Landshut, befasst sich seit mehr als 15 Jahren aus unterschiedlichen Perspektiven mit dem „Wissen über das Wissen.“ Hochschulpräsident Prof. Dr. Stoffel dankte den beteiligten Partnern für die lange Zusammenarbeit und betonte, die Reihe, die sich an ein breites Publikum über Disziplinen und Generationen hinweg richte, passe bestens zum Anspruch der Hochschule, Interdisziplinarität zu leben. Und gerade mit dem Begriff „Volk“ habe man wieder ein spannendes Thema gewählt, der Ruf „Wir sind das Volk!“ habe mit zum Fall der Berliner Mauer geführt und der Begriff des Volkes werde heute wieder von rechten Gruppierungen aufgenommen und auch Ausdrücke wie Heimat und Leitkultur würden in diesem Zusammenhang diskutiert.

"Volk" ein vielschichtiger und widersprüchlicher Begriff

In seinem Vortrag mit dem Untertitel „Über den Unterschied zwischen Ethnos und Demos“ betonte Prof. Dr. Nassehi, das „Volk“ sei nicht nur ein vielschichtiger, sondern auch ein widersprüchlicher Begriff. Historisch gesehen habe er einerseits die Intention, das ganze Volk und nicht nur die Eliten zu berücksichtigen. Andererseits wurde er aber auch als Abgrenzungsbegriff verwendet und hatte eine ausschließende Bedeutung. „Ethnos“ und „Demos“, - beides aus dem Griechischen entlehnt, wird ins Deutsche mit „Volk“ übersetzt. Während sich Ethnos aber auf die Abstammung, auf die Angehörigen einer Ethnie, beziehe, sei Demos ein politischer Begriff, der sich auf das Staatsvolk beziehe, das darin lebt. Die von den Staaten in der Verfassung festgeschriebene Definition, wer das Volk eines Staates sei, verlaufe zwischen diesen beiden Polen und charakterisiere den Nationalstaat. Während der Nationalsozialismus die Staats- bzw. Volkszugehörigkeit an der Abstammung festmachte und das zur Ausgrenzung und zum Antisemitismus nutzte, erhalte in Frankreich oder den USA z.B. jeder im Staat geborene automatisch die Staatsbürgerschaft des Landes. Das nationalsozialistische, völkische Denken setzt Ethnos und Demos gleich, das französische und amerikanische Modell läuft auf ein Verständnis des Staatsvolkes im Sinne von Demos hinaus. Doch die Definition dessen, was das Volk bzw. die Staatsbürger eines Nationalstaates sind, birgt ein Problem, das sogenannte „Verfassungsparadox“: In der Präambel der Verfassung von Staaten und auch der BRD, wird festgeschrieben, dass das Volk sich eine Verfassung gibt. „Doch welches Volk ist das?“ fragt Prof. Dr. Nassehi. Wer das Volk ist, das sich eine Verfassung gibt, wird erst in der Verfassung selbst definiert. Wer also hat dem Staat eine Verfassung gegeben? Eine weitere offene Frage sei die der Volkssouveränität, die ebenso in der Verfassung festgeschrieben ist. Garantiert dies aber beispielsweise auch den Katalanen ein Recht auf Souveränität - oder den Niederbayern, wie Nassehi provokant fragte. Auch vor dem Hintergrund des Brexits, an dem sich Schottland nicht beteiligen will, sei diese Frage höchst aktuell. 

Der Gedanke des "Demos" und die Ähnlichkeitspriosisierung

Ob „Volk“ ein rechter oder linker Begriff ist, lasse sich nicht klären, das richte sich nach der Anwendung, man könne ihn für beides verwenden. Doch auch beim Gedanken des „Demos“ entscheidet die Anwendung über den Inhalt. Obwohl in den USA beispielsweise jeder im Land Geborene die Staatsbürgerschaft erhalte, habe es Diskriminierung von Schwarzen gegeben. Hier spielen auch Begriffe wie Bürger, Fremder oder Mensch mit hinein und auch die Frage nach der Kollektivität und Zugehörigkeit, bei der die „Ähnlichkeitspriorisierung“ eine wichtige Rolle spiele: Man freunde sich am liebsten mit dem an, das einem selbst ähnlich ist. So suche man sich den Ehepartner am liebsten aus der gleichen Bildungsschicht. Und obwohl die Hautfarbe eigentlich keine anthropologische Bedeutung habe, seien trotzdem Schwarze, die als anders wahrgenommen werden, noch heute in den Eliten der USA stark unterrepräsentiert. Allerdings verändern sich im Laufe der Zeit die Sichtweisen. Standen sich in der deutschen Geschichte Protestanten und Katholiken lange unversöhnlich gegenüber oder habe man in Deutschland vor rund 40 Jahren Italiener noch klar als Fremde wahrgenommen, haben diese Trennlinien heute weitgehend ihre Bedeutung verloren. Heute werde diskutiert, ob Moslems loyal dem deutschen säkularen Staat gegenüber stehen können. Vor nicht allzu lange Zeit habe man sich in Preußen nicht vorstellen können, dass sich Katholiken, die dem Vatikanstaat verpflichtet seien, einem deutschen Staat gegenüber loyal sein könnten. Zwar blieb Prof. Dr. Nassehi, wie angekündigt, die Antwort schuldig, wer das Volk sei. Doch mit seinem engagierten Vortrag, in dem er nicht mit Provokationen sparte, regte er zum Nachdenken über das Verständnis und zum reflektierten Umgang mit dem Volksbegriff an. Dies zeigte sich auch in den angeregten Diskussionen nach dem Vortrag und beim anschließenden get together.  
Aktuelle Informationen zum Wissenswerk immer unter www.wissenswerk-landshut.de.

Hochschulpräsident Prof. Dr. Stoffel bei der Begrüßung.
Mit dem vielschichtigen Begriff "Volk" befasste sich Prof. Dr. Armin Nassehi (LMU München).
Reges Interesse bei der aktuellen Wissenswerk Landshut-Veranstaltung.
Eine rege Diskussion, moderiert von Dr. Alfons Hämmerl (HSG),  entwickelte sich im Anschluss an den Vortrag.