„Ein Leuchtturmprojekt für die Hochschule Landshut“

Prof. Dr. Karl-Heinz Pettinger erklärt im Interview, wie das EU-Projekt HyFlow die europäischen Energienetze effektiver und sicherer machen will, und wie es dazu kam, dass die Hochschule Landshut die Leitung dieses internationalen Großprojekts übernommen hat

Ende 2020 startete unter der Leitung des Technologiezentrums Energie der Hochschule Landshut ein millionenschweres EU-Projekt, das die europäischen Energienetze effektiver und sicherer machen soll. Elf wissenschaftliche Institutionen und Unternehmen aus Deutschland, Italien, Spanien, Tschechien, Österreich, Portugal und Russland arbeiten dabei an einem neuartigen Energiespeicher. Im Interview erzählt Projektleiter Prof. Dr. Karl-Heinz Pettinger, was es mit diesem Super-Speicher auf sich hat und wie es dazu kam, dass eine Hochschule für Angewandte Wissenschaften die Koordination dieses europaweiten Großprojekts übernommen hat.

Herr Prof. Pettinger, HyFlow ist ein sehr ambitioniertes Projekt, wenn man bedenkt, dass hier elf internationale Partner zusammenarbeiten, um die Energiewende in Europa voranzubringen. Was steckt hinter dem Vorhaben?

Prof. Pettinger: Die Energiewende ist zentral für eine sichere, umweltverträgliche und wirtschaftlich erfolgreiche Zukunft. Dazu müssen wir unsere Energieversorgung grundlegend umstellen: weg von nuklearen und fossilen Brennstoffen – hin zu erneuerbaren Energien aus Windkraft oder Sonne. Elektrische Energie wird über Netze verteilt, d.h. die Netze speichern keine Energie, sondern verteilen diese nur mit Lichtgeschwindigkeit. Ein Problem bei solchen regenerativen Energien ist allerdings, dass sie nicht kontinuierlich erzeugt werden, sondern immer nur dann, wenn gerade die Sonne scheint oder der Wind weht. Moderne Energienetze müssen diese Unregelmäßigkeiten puffern. Um bei Leistungsspitzen die Energie, die gerade nicht benötigt wird, zwischenzuspeichern, braucht es effiziente und dynamische Speichersysteme. Diese tragen zu zwingend notwendigen Sofort- und Kurzzeitreserven bei. Dabei sollten die Systeme sicher, bezahlbar und umweltfreundlich sein. Hier setzt unser neues Forschungsprojekt an, das die EU mit insgesamt vier Millionen Euro fördert.

Dass eine Hochschule für Angewandte Wissenschaften die Leitung eines solch großen EU-Projekts übernimmt, ist ziemlich ungewöhnlich, oder? Wie kam es dazu?

Prof. Pettinger: In der Tat ist das Projekt HyFlow für die Hochschule Landshut ein Leuchtturmprojekt. Soweit ich weiß, sind wir die zweite Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Bayern, die ein solches HORIZON2020-Projekt leitet – bisher also eine absolute Ausnahme. Die Idee zu HyFlow entstand 2019 am Rande einer Konferenz der InterReg-Forschungsplattform FSTORE. Dort haben sich bereits drei der elf Partner zum ersten Mal zusammengesetzt und über einen möglichen Projektantrag diskutiert. Es folgten zahlreiche weitere Diskussionen zur Projektentwicklung. Entscheidend für den Erfolg war die frühzeitige Einbindung des Forschungsreferats unserer Hochschule. Die Unterstützung einer in internationalen Projekten erfahrenen Forschungsreferentin förderte die Antragsentwicklung enorm. Nach und nach konnten wir weitere Partner einbinden und das Konsortium entlang der Wertschöpfungskette von der Forschung bis zur Großanwendung erweitern. Jetzt sind es elf Partner aus sieben Ländern – also in der Tat ein ambitioniertes Großprojekt. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir das Projekt zu einem erfolgreichen Abschluss führen.

Dass die Hochschule Landshut die Leitung und Koordination innehat, zeugt von großem Selbstvertrauen. Holen Sie sich auch Unterstützung?

Prof. Pettinger: Natürlich kann ein solches Forschungsprojekt ohne Partner nicht funktionieren. Wir werden unterstützt von technischen und wissenschaftlichen Aufsichtsräten.  Auch die Bayerische Forschungsallianz (BayFOR) hat uns bei der Antragstellung geholfen und in der strategischen Ausrichtung beraten. Als Projektpartnerin begleitet die BayFOR uns zudem beim Projektmanagement und bei den Kommunikationsaktivitäten. Dass es eine solche Institution in Bayern gibt, ist für uns als Hochschule eine wertvolle Stütze.

Was ist das Besondere an dem Energiespeicher, den Sie gemeinsam entwickeln?


Prof. Pettinger: Wir forschen an einem leistungsfähigen, hybriden Speichersystem, das zwei Technologien miteinander vereint: eine Hochleistungs-Vanadium-Redox-Flow-Batterie und einen Superkondensator. Das Besondere daran ist, dass wir dabei das Beste aus zwei Welten zusammenbringen. Eine Redox-Flow-Batterie besitzt eine große Speicherkapazität, lässt sich aber nur langsam auf- und entladen. Der Superkondensator hingegen verfügt über extrem kurze Lade- und Entladezeiten bei geringer Energiedichte und stellt die Sofortreserven zur Netzstabilisierung bei. Das heißt, wie kombinieren die Vorteile aus beiden Systeme: hohe Speicherkapazität und hohe Leistung.

Was kann in Zukunft das neue Hybridsystem, was bisherige Energiespeicher nicht können?

Prof. Pettinger: Das neue Speichersystem kann bei hohen Lastspitzen beispielsweise den Energiebedarf viel flexibler ausgleichen, und das sekundenweise oder über Stunden hinweg. Damit entlastet es die Netzwerke enorm.  Darüber hinaus arbeitet es möglichst umweltschonend, indem wir keine kritischen Ressourcen, wie seltene Erden, verwenden. Und es ist möglicherweise sogar kostengünstiger als bisherige Speichersysteme. 

Welche Auswirkungen hätte ein solches neues Speichersystem für Europa?


Prof. Pettinger: Wir wollen mit dem neuen System dazu beitragen, die Versorgungssicherheit für Energienetzsysteme in Europa zu gewährleisten. Zudem stärkt das Projekt die Wettbewerbsfähigkeit Europas im Batteriesektor für stationäre Speicheranwendungen. Energie kennt keine Grenzen. Energieversorgung und Verteilung ist europäisches Interesse. Gerade in Grenzregionen ist die Kooperation mit den Nachbarländern und deren Netzverbünden obligatorisch. Die Netzstabilisierung im Siedlungsbereich wird in Japan seit 30 Jahren durch Quartierspeicher erfolgreich unterstützt.

Welche Vorteile hätten wir Verbraucherinnen und Verbraucher im Alltag?

Prof. Pettinger: Mit dem Speichersystem kann Energie, die aus regenerativen Quellen gewonnen wird, auch lokal oder regional verwertet werden und muss nicht über große Distanzen transportiert werden.  In HyFlow werden diese Hybrid-Speicher mit der Anwender-Expertise von Stadtwerken, produzierenden Industrieunternehmen und einem sehr großen Flughafenbetreiber entwickelt, dimensioniert und deren Nutzen dafür untersucht. Der Einsatz im Bereich der Stadtwerke  kommt den Bürgern in Wohnquartieren als Knotenspeicher zugute. Der Anteil an installierter Photovoltaik oder Windkraft kann lokal erhöht werden, ohne das Netz zu destabilisieren. Industrieunternehmen und Flughäfen haben einen stark schwankenden Bedarf an elektrischer Leistung, der mit diesem System kostengünstig und netzdienlich gepuffert werden kann.

Worauf sind Sie persönlich besonders stolz bei diesem Projekt?


Prof. Pettinger: Mich freut besonders, dass die EU unseren Förderantrag mit der höchstmöglichen Punktzahl, also mit 15 von 15 Punkten, bewertet hat. Das ist sehr selten und ein Adelsschlag für das ganze Team. Und es beweist, dass sich die viele Arbeit und die Suche nach den Projektpartnern gelohnt haben. Ohne ein solches Netzwerk von Portugal bis Russland wäre dieser Erfolg nicht möglich.

Die Fragen stellte Veronika Barnerßoi.