Die „Jahrhundertchance“ in Landshut nutzen

Bayerns erste Hebamme mit Hochschulprofessur an der Hochschule Landshut

Der Weg nach Landshut war kein leichter für Anne Wiedermann, rein nervlich gesehen. Nach ihrer Bewerbung als Professorin für den neuen Studiengang Hebammenwesen an der hiesigen Hochschule wurde sie neben einer Handvoll weiterer Kandidatinnen zu einem Hearing im Mai letzten Jahres eingeladen. Als sie anschließend nach Salzburg heimfuhr, hatte sie zwar ein gutes Gefühl – allerdings keine Ahnung, wie die Sache ausgehen würde und vor allem: wie lange sie warten müsste auf die Nachricht über Erfolg oder Misserfolg ihrer Vorstellung. Kurz vor Weihnachten schließlich die frohe Botschaft: Sie bekommt den Job!

Um sich jenen Jubelschrei vorstellen zu können, der in diesem Moment mitten in der staaden Zeit jenseits der bayerisch-österreichischen Grenze zu hören war, sollte man zweierlei wissen. Erstens: „Geduld ist nicht meine allergrößte Tugend“, räumt die 38-Jährige ein. Zweitens: „Beworben hatte ich mich ohne Druck. Aber je länger es gedauert hat, umso wichtiger ist es mir geworden.“ Im Laufe der rund siebenmonatigen Geduldsprobe dürfte die Berufung für die gebürtige Tirolerin also durchaus zentrale Bedeutung erlangt haben.

Landshut eine von drei bayerischen Hochschulen

Zumal es ja nicht irgendeine Tätigkeit ist, die sie Mitte April übernimmt. Landshut war 2018 eine von nur drei bayerischen Hochschulen, die (neben München und Regensburg) für den neuen Studiengang ausgewählt wurde. Inzwischen sind vier weitere in Nordbayern benannt worden. Sie alle eint der Pioniercharakter, der mit dem Projekt einhergeht und ein großes, gesellschaftspolitisch relevantes Ziel hat: den Hebammenberuf attraktiver zu machen und das Ausbildungsniveau an die hohen beruflichen Anforderungen anzupassen. Manche Expertin sieht in dieser Akademisierung nicht weniger als eine „Jahrhundertchance“ für Hebammen.

So gesehen kommt der Persönlichkeit der Gründungsprofessorin keine geringe Bedeutung zu. Und sagen wir mal so: Folgt man dem Aphorismus, wonach andere Menschen nur begeistern kann, wer selbst begeistert ist, dann sollte außer Frage stehen, dass Anne Wiedermann für die Hochschule Landshut eine erstklassige Wahl ist. Wenn sie über ihren Beruf spricht – aktuell ist sie an der Fachhochschule Salzburg als Senior Lecturer (Dozentin) im Bereich Hebammenwesen tätig, zugleich arbeitet sie an der Universität Lübeck an ihrer Dissertation zum Thema erfahrungsbasierte Qualitätsmessung in der Geburtshilfe –, dann verströmt sie soviel Energie und Enthusiasmus, dass man intuitiv schnell und umfassend überzeugt ist: Hier ist die richtige Frau am richtigen Platz.

Interessanterweise waren es eigene Erfahrungen, die der Professorin einst diese berufliche Perspektive eröffnet haben – die Geburt ihrer beiden Kinder. Als sie ihren Sohn (heute 17) und ihre Tochter (13) zur Welt brachte, erzählt Anne Wiedermann, habe es bei der Geburtsbegleitung „ganz, ganz große Unterschiede“ gegeben. Sie möchte nicht ins Detail gehen – fasst aber ihre persönlichen Eindrücke prägnant so zusammen: „Einmal fühlte ich mich komplett allein gelassen, das andere Mal war idealtypisch.“ Sie habe in aller Intensität erlebt, welch weitreichende Bedeutung der Beruf der Hebamme habe – genauer: wie sehr es darauf ankomme, dass man ihn gut mache.

„Ich habe erkannt, worauf es ankommt“

Die Folgen für Wiedermanns eigenes Leben waren einschneidend – „ich habe erkannt, worauf es ankommt“, sagt sie rückblickend. Das zunächst begonnene Jura-Studium war bald Geschichte, der Kurswechsel in Richtung Hebammen-Laufbahn der logische nächste Schritt. Zwischen damals und heute schlägt die Neu-Landshuterin einen inhaltlichen Bogen, der womöglich am besten erklärt, warum sie auch anno 2020 in diesem Beruf ganz bei sich ist: Ihre ersten Einschätzungen, sagt Anne Wiedermann, hätten sich „im Grunde nie widerlegt“. Für eine Hebamme sei natürlich die umfassende fachliche Kompetenz wichtig, zugleich komme es aber auch „ganz, ganz viel auf die zwischenmenschliche, kommunikative Seite“ an. Auf das „psychosozial-biologische Verstehen“ in einer „medikalisierten, technisierten Geburtshilfe“ und das Wissen über die komplexen physiologischen Prozesse während Schwangerschaft und Geburt, wie es die Expertin formuliert. Oder einfacher: „Auf das Gefühl eines Miteinander“ zwischen Hebamme und Mutter, in dessen Zentrum die schwangere Frau steht.

Das liest sich schon fast wie eine Antrittsrede. Wie das Grundsatzprogramm für die Professur in Landshut. Im Wintersemester 2020/21 soll’s nach Möglichkeit losgehen mit 20 bis 24 Studentinnen, zunächst als weiterqualifizierendes Bachelorstudium für bereits examinierte Hebammen. Im zweiten Schritt folgt das grundständige Studium.

Vorfreunde auf die neue Herausforderung

Anne Wiedermann freut sich sehr auf die neue Herausforderung; ihren relativen Promi-Faktor, erste Hebamme mit Hochschulprofessur in Bayern zu sein, trägt sie mit Gelassenheit. Schließlich gibt’s ja auch ein Leben jenseits der Geburtshilfe – mit ihrer Patchwork-Familie in Salzburg, mit Hobbys wie Kochen und Garteln, Fitness und Yoga. Und nicht zuletzt mit den Werken des Autors Ferdinand von Schirach, der auf ganz eigene, faszinierende Art über Verbrechen, Schuld und Strafe schreibt. Vier Schirach-Bücher hat Anne Wiedermann in den Weihnachtsferien verschlungen – keine unspannende Leseleidenschaft für jemand, der einem so lebensbejahenden Beruf frönt.

Quelle: Landshuter Zeitung