An der Auftaktveranstaltung des Wissenswerks Landshut im November 2002 hatte Schirmherr Karl-Friedrich von Weizsäcker teilgenommen, seither befassen sich Wissenschaftler aus unterschiedlichen Perspektiven mit dem Thema "Wissen über das Wissen". Für Hochschulpräsident Prof. Dr. Karl Stoffel ist gerade eine Hochschule der richtige Ort, um sich mit dem Thema Wissen auseinanderzusetzen. Der Blick über den eigenen Tellerrand hinaus sei für die Absolventen/innen wichtig, die später wirtschaftliche und gesellschaftliche Führungsrollen innehaben werden. Er bedankte sich bei allen Beteiligten des Wissenswerks, bei Initiator Alfons Hämmerl von der Hochschulgemeinde und besonders bei der BMW AG, deren Landshuter Werksleiter Aksel ebenfalls anwesend war, für die lange Unterstützung.
Arndt betonte, BMW wolle ein verlässlicher Partner sein, ob in Ostbayern, Ost-China oder im Osten der USA. Dies sei nur mit langfristigem Engagement möglich, wie es das Unternehmen beim Wissenswerk Landshut seit 10 Jahren zeige. Die Menge der verfügbaren Information habe sich gerade durch das Internet exponentiell vervielfacht. Die Dynamik der Veränderung nehme zu, die Unsicherheit steige, dies sei die „neue Normalität “. Doch nur aus verarbeiteter Information entstehe Wissen. Und Wissen sei wichtig, es biete Orientierung in der Zeit. Es bedeute aber auch Verantwortung, es stelle sich die Frage, wie man es richtig einsetze. Neben dem Fachwissen spiele hier übergreifendes Wissen eine besondere Rolle. Für die Führung von Unternehmen oder Gemeinwesen in der neuen Normalität sei es grundlegend, zu erklären, Sinn zu stiften und die Menschen mitzunehmen auf den Weg der Veränderung. Geisteswissenschaften sollten als gleichwertige und gleichberechtigte Partner helfen, die Welt zu ergründen und zu verstehen. Und im Wissenswerk mit seinen hochkarätigen Referenten aus unterschiedlichsten Wissenschaftsdisziplinen „wächst zusammen, was zusammengehört,“ ist er überzeugt.
Wirklichkeit ist nicht erkennbar
"Verstehen, was wirklich ist. Wie uns die Philosophie dabei hilft" lautete das Thema des Jubiläumsvortrags von Prof. em. Dr. Wilhelm Vossenkuhl (LMU München), der einer breiteren Öffentlichkeit u.a. auch dadurch bekannt ist, dass er zusammen mit Harald Lesch die Reihe "Denker des Abendlandes" in BR alpha moderierte. In seinem Vortrag zeigte Vossenkuhl, dass Philosophie einen hohen Anwendungsbezug für das tägliche Leben haben kann. Eine grundsätzliche Frage lautet für ihn, ob Wirklichkeit erkennbar ist und er beantwortet sie klar mit nein. Gerne hätte man ein festes, unveränderbares Wissens- und Wirklichkeitsverständnis, auf das man sich verlassen könne, um daraus Entscheidungshilfen für das eigene Handeln zu bekommen. Diese unverrückbare Wirklichkeit sei aber in keinem Bereich der Wissenschaft gegeben, weder in der Physik noch in der Theologie und auch nicht in der Philosophie.
Menschen gäben sich selbst die Antworten auf ihre Fragen. Auch die Grundlagen der Naturwissenschaften gründen auf subjektiven Annahmen. Schon Aristoteles sei auf der Suche nach unwandelbaren Ursachen gewesen und hatte gedacht, sie in den Gestirnen gefunden zu haben; doch auch die Himmelskörper bewegen sich. Es habe immer Denker, Wissenschaftler, Menschen gegeben, die sich ausgedacht hätten, wie die Wirklichkeit ist. Aber alles, was wir als wissenschaftlich erfahren könnten, basiere auf subjektiven Grundlagen. Die Rahmenbedingungen seien von Menschen erdacht, diese haben Maßstäbe definiert, wie der Blick aussieht. Eine objektive Wirklichkeit sei nicht definierbar.
Die Trennung von Natur- und Geisteswissenschaften sei vor rund 300 Jahren geschehen, als die Mathematik die Sprache wurde, mit der Gesetzte formuliert werden. Mit den Erkenntnissen von Einstein oder auch Heisenberg haben sich die Ansichten über die Naturgesetze und damit die „Wirklichkeit“ enorm verändert. Die Naturwissenschaft hätten die Deutungshoheit gewonnen, was Realität ist. Lange habe man Geisteswissenschaften als Interpreten der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse gesehen. Dabei sei die Physik zu einer Art Metaphysik geworden, die das Ganze der Wirklichkeit erforschen und verstehen will. Doch leide dieses ursprünglich ganzheitliche Verständnis an vielen Erkenntnissen, die sich widersprechen und nicht ins Bild passen. Und wie bereits Karl Popper gezeigt habe, gelten die naturwissenschaftlichen Regeln nur so lange, bis sie widerlegt werden. „Die Frage nach dem, was wirklich ist, kommt an kein Ende“, ist Vossenkuhl überzeugt, da keine physikalische genaue Definition möglich sei. Als Beispiel führt er einen ICE-Zug an, der mit Lichtgeschwindigkeit fährt. Gehe nun ein Fahrgast im Zug nach vorne, wäre er ja schneller als die eigentlich maximal erreichbare Geschwindigkeit. „Wir wissen nicht, was Wirklichkeit ist“, fasst er zusammen.
Wirklichkeitsbegriff eng verbunden mit dem Handeln
Dabei gehe der Begriff „Wirklich“ auf das Wort „wirken“ zurück, habe also mit Handeln zu tun, für das wiederum das Wirklichkeitsverständnis von Bedeutung sei. Denn Erkenntnisse der Wissenschaft und auch die Realitätswahrnehmung sollten grundlegend für Entscheidungen, für das Handeln sein. Wenn eine objektive Realität nicht vorhanden sei, führe das zu Irritation, wie Entscheidungen von Menschen oder auch Unternehmen aussehen sollen, auf welcher Basis sie geschehen sollen. Als Beispiel nennt er den Einsatz von FCKW, von dem sich erst nach der intensiven Verwendung herausgestellt habe, dass es die Ozonschicht zerstört. In der Wissenschaft gäbe es häufig viele unterschiedliche Meinungen zu einem Thema. Die meisten Menschen seien technische Laien, könnten die Erkenntnisse nicht nachprüfen, müssen sich aber für eine Meinung entscheiden. Trotzdem herrsche „eine immense Wissenschaftsgläubigkeit, die eine Krücke ist, an der wir gehen“, so Vossenkuhl. Der Wissenschaftsglaube sei im Ansatz vergleichbar mit dem Aberglauben, also etwas, was es so wie man es sich denkt gar nicht gibt. Eine wichtige Frage, mit der sich auch die Soziologie heute befasse, laute deshalb, wie man aus Nichtwissen heraus handeln könne.
Auch in der Philosophie gäbe es viele Rezepte. Für Vossenkuhl solle aber im Vordergrund stehen, die Frage nach „unserer“ Wirklichkeit zu stellen, die Dimensionen eigener Verantwortung zu finden. „Denn wir sind individuell für unsere Wirklichkeit verantwortlich,“ wie er betont. Im Mittelpunkt sollten auch Fragen nach den menschlichen Lebenszielen wie Menschenwürde oder Humanität stehen und wie man diese individuell verwirklichen könne. Philosophie stehe nicht über anderen Disziplinen, doch sie fördere Selbstkritik und könne vor übertriebenen Erwartungen schützen. Die anschließende lebhafte Diskussionsrunde zeigte, wie das Thema Wissen über die Wirklichkeit des Wissens, dies aus Sicht der Philosophie, die Teilnehmer/innen beschäftigte.